Glaubst du das wirklich? Glaubenssätze erkennen und verändern

Glaubst du das wirklich?

„Wenn sich die Tür nicht öffnet, ist es nicht deine Tür“, sagte mir eine Freundin und ich hielt diesen Satz für absoluten Humbug. Mein Mantra war schließlich: „Ich muss mich nur genug anstrengen, dann kann ich alles schaffen.“ Mit diesem Satz hatte mir meine Mutter schon in den Ohren gelegen als ich ABC-Schützin war. „Maria, wie viel ist fünf mal drei? Sieben mal acht? Neun mal zwei?“, fragte sie mich beim Aufstehen, Essen, Einkaufen, Zubettgehen. Und sie lebte mir diese Willenskraft auch an jedem Tag in unserem Zusammenleben vor. Ich kann mich an nicht einen Tag erinnern, an dem sie als Alleinerziehende an Vollzeitjob, Familienalltag und Privatleben gescheitert wäre. Es gab keinen Job, den sie nicht bekam und keine Herausforderung, vor der sie zurückgewichen ist.

Bin ich später auch nicht. Mit meinem ersten Freund mühte ich mich fast zwei Jahre ab, bis er mich zu seiner festen Freundin machte. Dass damit das Ende unserer Beziehung bereits besiegelt war, interessierte mich nicht. Ich hatte mich genug angestrengt. Ich hatte bewiesen, dass ich es schaffen kann. Und wenn ich ihn von mir überzeugen konnte, dann würden auch alle Kommenden nicht an mir zweifeln können.

»Ich muss mich nur genug anstrengen, dann kann ich alles schaffen.«

Mit meinem Jura- und Verwaltungsstudium quälte ich mich fünf Jahre. Es machte mich wirklich nicht glücklich, aber ich schaffte es. Auch der Job danach erfüllte mich nicht, aber das fühlte ich schon gar nicht mehr. Alle anderen schafften diesen Job, ich musste mich also nur anstrengen, dann würde ich es auch schaffen. Ich arbeitete mich ab, ich schaffte es. Was ich aber nicht schaffte, war dabei zufrieden zu sein. Einen bewussten und achtsamen Alltag nach meinen Bedürfnissen leben? Haha, später. 

Erst musste ich mich der Erkenntnis stellen, dass ich zwar immer alles erreicht hatte, aber dass ich nicht wusste, wofür ich das eigentlich gemacht habe. Die gesteckten Ziele hatte ich eigens zum Erreichen gesteckt, aber nicht, weil mir ihr Erfolg wichtig gewesen wäre. Mit Mitte zwanzig lebte ich ein Leben, in dem es mir von außen betrachtet an nichts fehlte. Von innen betrachtet fehlte es mir an mir selbst. Ich war auf der Strecke geblieben.

Den Erwartungen anderer gerecht zu werden ist ermüdend – und unmöglich.

Aber, das war ja nichts, was man nicht mit genug Anstrengung hätte ausbügeln können. Ich buchte ein Fernstudium, schrieb neben der Vollzeitstelle als Autorin. Ich begann die Rastlosigkeit in Reisefieber zu verwandeln. Wenn ich weit weg war, wurde ich klar. Kam ich mir näher, wurde ich verzweifelt. Ich stellte nicht nur meinen Beruf und mich infrage, auch meine Beziehung und Freundschaften kamen auf den Prüfstand. Ich versuchte weiter den Defekt in meinem Leben zu finden. Ich suchte noch, da stand auf dem Zettel: Burnout, Anpassungsstörung. 

Der Dominoeffekt aus der Kindheit

Hätte meine Mutter um den Dominoeffekt ihres Antriebs gewusst, sie hätte ihn sicherlich vor mir verschwiegen. Und wahrscheinlich hätte sie mich nicht unablässig nach dem Einmaleins abgefragt und mich mit der Angst vor dem Scheitern in einen allgegenwärtigen Zustand von Panik versetzt. Die Sorge davor, nicht zu wissen, nicht zu leisten, es demnach nicht zu schaffen, löst manchmal noch heute in mir eine existenzielle Panik aus. 

Dass es sich dabei um ein wiederkehrendes Element handelt, war mir durchaus schon aufgefallen, aber ich hatte mich stets dafür geschämt. Erst als ich einer Freundin von Beziehungsproblemen erzählte, die auf dieser Denkstrategie basierten, machte sie mich auf die Wiederholungen in meinem Leben aufmerksam. Ich war schon auf ihr anschuldigendes Urteil eingestellt gewesen als sie sagte: „Es tut mir leid, dass dir das immer wieder passiert. Es muss schwer sein, in diesem Muster festzustecken. Vielleicht hilft es dir, wenn du dir das mit Unterstützung genauer anschaust?“

Plong. Der Groschen war gefallen. Den Defekt hatte ich. Mein Muster verfolgte ich zurück bis zu dem Satz »Ich muss mich nur genug anstrengen, dann kann ich alles schaffen.« Dabei ist es nicht bloß dieser Satz gewesen, der die Reaktionskette ausgelöst hatte. Viel mehr war es, wie oft, wie eindringlich und in welchen Situationen er gesagt worden war. Jedes Scheitern war mit mangelndem Leistungseinsatz verknüpft worden. Ich war nicht genug gewesen.

Bis zu unserem 18. Lebensjahr hören wir über 180.000 negative Suggestionen, die sich manifestieren können. Nicht nur Erlebnisse und Erfahrungen prägen uns, vor allem die Meinungen und Zuschreibungen unserer Bezugspersonen bestimmen das Bild, das wir von uns selbst haben. Solche Sätze, die unser Denken und Handeln (selbst im Erwachsenenalter!) noch beeinflussen, könnte man auch Glaubenssätze nennen. Ein Begriff, den man hier und da liest, der aber zu abstrakt oder spirituell wirkt, als dass sich jede*r damit identifizieren kann. Stattdessen könnte man Glaubenssätze auch als Meinungen, Vorstellungen, Ansichten oder Annahmen bezeichnen.
Oft sind eben diese Meinungen von unseren Bezugspersonen in Kindheit und Jugend, also Eltern, Verwandten, Freund*innen, Erzieher*innen und Lehrer*innen usw., unbedacht und unüberlegt geäußert worden, haben sich aber tief eingeprägt: Ich bin nicht gut in Mathe. Alle anderen sind besser. Ich bin dumm. Ich kann nichts.

Die persönlichen Eigenschaften: manchmal einfach nur Ansichtssache

Glaubenssätze können durchaus auch positiv sein und ihre Berechtigung gehabt haben. „Sei vorsichtig!“ mag beim Überqueren der Straße, Hantieren mit der Schere oder Kochen von Wasser sinnvoll gewesen sein, kann später aber bei der Jobsuche, beim Eingehen von Partnerschaften oder Ausprobieren von Neuem hinderlich werden.

Wie Sprache unser Denken und Handeln beeinflusst

Ausschlaggebend ist das Bewusstsein über solche unterbewusst ablaufenden Einstellungen und ihre Handlungskonsequenzen. Weiß ich, welche Sätze meine Gedanken und mein Verhalten beeinflussen? Schließlich haben sie erstaunlich viel Macht über mich. Wenn ich denke, ich sei nicht genug, handle ich auch danach. So bestätige ich meine Glaubenssätze immer wieder selbst und festige die Überzeugungen, die mich geprägt haben. Dabei sind die Meinungen der Eltern, Verwandten, Lehrer*innen oder Freund*innen keinesfalls objektiv und realistisch. Letztlich bringt jede Eigenschaft eine positive und negative Perspektive. Sprunghaftigkeit kann bedeuten, unbeständig, unberechenbar und launenhaft zu sein. Man könnte aber auch bemerken, dass sprunghafte Menschen neugierig, begeisterungsfähig und kreativ sind.

Es ist vor allem unsere Sprache, die unseren Blick auf unsere eigene Persönlichkeit beeinflusst. Sowohl in der Wahl der Worte, in der Wiederholung und Vehemenz von Sätzen als auch in ihrer Formulierung liegt die Kraft, einem anderen positive oder negative Affirmationen zuzuschreiben. Wird mir gesagt, ich sei sprunghaft, kann ich diese vermeintliche Tatsache nicht ändern. Ich bin, wer ich bin. Sagt man mir stattdessen, ich verhalte mich gerade sprunghaft, habe ich die Möglichkeit, mein Verhalten zu verändern – sofern ich das überhaupt möchte.

Dieses Feingefühl in der Sprache und der Betrachtung von Eigenschaften braucht es, wenn Erwachsene in ihren Beziehungen und Jobs nicht weiter nach den einschränkenden Glaubenssätzen von Kindern agieren sollen und wollen. Das als sprunghaft abgestempelte Kind könnte sonst auch in Berufswegen wankelmütig werden oder seine Beziehungen mit Unstetigkeit sabotieren.

Das Must-have unter den Glaubenssätzen!

Ich, die dachte, alles schaffen zu müssen und nicht daran scheitern zu dürfen, weil ich sonst nicht liebenswert sei, habe sehr hohe Erwartungen an mich gestellt und von außen auf mich bezogen. Durch jeden Reifen bin ich gesprungen, nur um mir selbst stetig zu beweisen, dass ich alles schaffen kann. Das war anstrengend, sehr. Und das ist es für alle, die unterbewusst versuchen, den Anforderungen ihrer Eltern und dem Bild, das sie von uns haben, gerecht zu werden. 

Bewusstsein ist Macht

Was hilft, ist sich seiner Glaubenssätze bewusst zu werden und sie zu verändern. Es gibt viele Möglichkeiten, um diesen Prozess anzustoßen – mit oder ohne Unterstützung. Eine sensible Sprache und Geduld bei der Selbstbeobachtung sind hilfreich.

Möglich wäre es, die eigenen Gedanken laut auszusprechen oder aufzuschreiben, mit Vertrauten auch die schlimmsten Gedanken zu besprechen und so die Möglichkeit zu bekommen, wiederkehrende Überzeugungen aufzudecken. Dass, was wir uns stumm sagen, klingt im Raum oder liest sich vom Blatt anders als es sich in unserem Kopf anhört. Wie ich mit mir gesprochen habe, hat mich ehrlich erschrocken.

Es ist auch Interessant zu beobachten, wann uns diese negativen Gedanken kommen und woran sie uns erinnern. Oft steht das erneute Erleben mit einer Erfahrung aus der Vergangenheit in Zusammenhang und die damit einhergehende Gefühle erinnern an ein früheres Erlebnis, welches auf diese Weise erneut durchlebt wird.

Vorsicht: Bei bekannten Traumata oder psychischen Erkrankungen oder dem aufkommenden Gefühl, dieser Situation nicht allein standhalten zu können, ist es wichtig, sich professionelle Unterstützung zu suchen.

Mit dem Wissen um die uns antreibenden Glaubenssätze ist der wichtige Schritt gemacht. Nicht mehr unterbewusst von den Meinungen unserer kindlichen Bezugspersonen gesteuert zu werden, liegt da ein ganzer Haufen an Erwartungen, den wir nicht mehr erfüllen müssen. Wer möchte, kann sich stattdessen realistische (!) Glaubenssätze formulieren und in den Alltag integrieren. Wann immer alte Denkmuster auftauchen, könnte dann die positive Affirmation sich selbst aufgesagt, im Portmonee auf Zetteln nachgelesen oder mit einem Anruf bei vertrauten Personen erfragt werden.

Ich für mich habe beschlossen, dass wenn ich alles getan habe, um mein Ziel zu erreichen, und es dennoch nicht reicht, es schlicht nicht sein soll. Wenn sich die Tür nicht öffnet, ist es nicht meine Tür. 

7 comments on »Glaubst du das wirklich? Glaubenssätze erkennen und verändern«

  1. Hallo liebe Maria Anna,

    “Wenn sich die Tür nicht öffnet, ist es nicht deine Tür“ – danke für diesen Satz!

    Zwar habe ich nie so erfolgreich-hartnäckig “das Richtige” getan, wie du, weil ich schon sehr früh verzweifelt bzw. gescheitert bin, an den Ansprüchen und latent chronisch-depressiv wurde.

    Aber auch bei uns zu Hause galt es “Ergebnisse” vorzuweisen. Selbtfürsorge oder innehalten und nach den eigenen Bedürfnissen spüren, dafür gab es keinen Raum. Es galt, die “Tür des Erfolges” zu öffnen, unter Verbiegen oder sonstwie, sonst war man ein Versager. Mein Bruder kämpfte an den Türen, ich gab mich oft mit dem Titel “Versager” geschlagen, wusste aber dennoch nicht, was meine Bedürfnisse waren.

    Das macht mir heute noch sehr zu schaffen.

    Zuletzt scheiterte mein erster Versuch wieder ins Arbeitsleben einzusteigen (nach langer Familien- und Krankheitszeit-Pause). Ich wurde leider ein halbes Jahr im neuen Job gemobbt und hätte um ein Haar dennoch weitergemacht, um “Ergebnisse” (Jobeinstieg/Arbeitsplatz) vorzuweisen.

    Ich habe dann den Absprung geschafft und fiel anschliessend in ein Loch, so mit leeren Händen (kein Arbeitsplatz und erstmal auch keine Aussicht auf etwas Neues) und der Erschöpfung durch das durchgestanden Mobbing. Fing an mich selbst fertig zu machen.

    Dein Satz kommt gerade richtig: “Wenn sich die Tür nicht öffnet, ist es nicht deine Tür!” Das war nicht meine Tür! Es sollte nicht sein! Alles ist gut, wie es ist!

  2. Vielen Dank für diesen wunderbaren Artikel! Glaubenssätze können uns durchs Leben tragen oder ewige Fallstricke bleiben…selbst wenn man für sich herausgefunden hat, welcher Glaubenssatz das Leben schwer macht, ist es oft nicht leicht, eine stimmige positive Affirmation für sich zu finden. Da lohnt es sich, ein paar Varianten durchzuprobieren. Man muss sich nicht von jetzt auf gleich „gut“ finden – „gut genug“ reicht doch auch!

  3. Grundsätzlich ein wirklich guter und wichtiger Artikel.
    Und: danke für den Hinweis der professionellen Unterstützung.

    Ich bin voll dieser negativen Überzeugungen und hätte meine Erzeugerin gewusst, wie sie es hätte noch schlimmer machen können, sie hätte (oder hat?) es getan (im Gegensatz zur Mutter der Autorin)

    Manchmal kommt man nur leider über Sprache dem ganzen nicht bei. Da kann man sich noch so anstrengen, es selbst verändern zu wollen (passend zum Artikel), es funktioniert nicht, egal was man tut.

    Inzwischen bin ich mit Hilfe des besten Therapeuten der Welt soweit, dass mir langsam klar wird, woher das alles kommt … aus einer vorsprachlichen Zeit. Und jetzt fängt sich tatsächlich an, was zu verändern …. und manchmal erkenne ich sogar einige dieser alten und festsitzenden Überzeugungen (z.B. Man darf nichts wollen 😖)

    Liebe Grüße, Nini

  4. Katrin Lari 'Jane Fowe

    Danke für diesen Artikel. Er liest sich so leicht. Genau mein Thema gerade. Du bringst es sehr gut auf den Punkt.

  5. Den Absatz mit der Sprache kann ich nur bestätigen. Viele Wörter haben eine positive oder negative Konnotation, die uns unterbewusst beeinflusst. Wenn ich den Satz „Ich MUSS mich nur genug anstrengen, dann kann ich alles schaffen.“ durch „Wenn ich WILL, kann ich alles schaffen.“ ersetze, klingt das schon anders. 🙂

    Auch die Bewusstmachung ist wirklich essenziell in solch einem Fall. Ein Muster zu erkennen ist bereits der erste Schritt Richtung Lösungstür. Nicht umsonst strahlen Menschen, die sich ihrer selbst sehr bewusst sind, viel Selbstbewusstsein aus und wirken damit attraktiv, weil dieses Bewusstsein ein erstrebenswerter Zustand ist.

    Ich wünsche der Autorin weiterhin viel Erfolg und viele positive Glaubenssätze. 🙂

  6. Ich finde deinen Artikel super! Danke das du dieses Thema so aufbereitest. Bei mir war es die Schule/Beruf, welche mich mit Sätzen wie “du hast keine Begabung für Sprachen” oder “du bist zu Jung um kompetent Auskunft zu geben” blockierten. Im Kopf kann ich Fremdsprachen sehr gut, nur Sprechen ging lange nicht auch war ich lange nicht mutig um mich zu zeigen (kommt langsam, mit fast 40ig…). Danke, dass ich rechtzeitig die Erkenntnis hatte und danke für solche Artikel, die machen mir viel Mut. Ich bin genug! Wir sind alle genug 🙂

  7. Ja, ich glaube das wirklich!

    Diese Glaubenssätze haben mich an den Rand meiner physischen und psychischen Grenzen gebracht.
    Man könnte auch sagen , rein ins “Bourn out”!

    Ich bin mit solchen Glaubenssätzen groß geworden und habe mich darüber identifiziert, mein innerer Antreiber hat mit mein Leben schwer gemacht!

    Du musst stark sein, du darfst keine Schwäche zeigen,
    Schwäche = faul sein! Usw
    Du bist nicht ok , wenn du wieder sprichst oder eine eigene Meinung hast!

    Das ist das Thema meiner Therapie , ich habe schon kleine Ziele erreicht
    Glaubenssätze um zu wandeln

    Ich darf so sein, ich bin gut genug.
    Ich bin liebenswert 😭….allein das treibt mir Tränen in die Augen.

    Ich bin dran, ich übe, ich setze um
    “Ich grenze mich ab”

    Ein schönes Thema, man kann Stunden darüber philosophieren 💕

    Herzliche Grüße Diana

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