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Die Sache mit dem Sport – ohne Selbstoptimieriung zur Routine

Nicht alle Menschen wollen oder können regelmäßig Sport machen, haben dafür gute und respektable Gründe und ein schlechtes Gewissen und mehr Druck braucht sowieso kein Mensch. Viele scheinen allerdings zu wollen, bloß nicht zu schaffen, so Sport zu machen, dass sie zufrieden damit sind. Was ist da los?

»Jeden Tag?« fragt ausnahmslos jede Person mit hochgezogenen Augenbrauen schockiert zurück, wenn ich sage, dass ich jeden Tag vor der Arbeit zum Sport gehe. Ich wundere mich auch sehr, aber ja, auf wundersame Weise ist aus mir eine Person geworden, die jeden Tag in ein Fitnessstudio geht und ihre Muskeln trainiert. Jeden Arbeitstag, am Wochenende pausiere ich also meistens.

Was in vielen Ohren so beeindruckend diszipliniert klingt, hat den weniger beeindruckenden, einfachen Grund, dass es mir leichter fällt, etwas routinemäßig jeden Tag zu machen, anstatt bestimmte Wochentage einzuhalten oder andere Arrangements, die Flexibilität erlauben. Erfahrungen zeigen, dass ich mit mir zu verhandeln beginne, bald ausweiche, dann verheddere und aufgebe. 2-3 Mal die Woche funktioniert nicht bei mir, zumindest wenn es um die Entwicklung einer Gewohnheit geht, bei der wir uns völlig kontraintuitiv verhalten sollen, indem wir uns bewegen, wenn sich sonst alles im Leben darum dreht, es so komfortabel wie möglich zu haben.

Nicht alle Menschen wollen oder können regelmäßig Sport machen, haben dafür gute und respektable Gründe und ein schlechtes Gewissen und mehr Druck braucht sowieso kein Mensch. Viele scheinen allerdings zu wollen, bloß nicht zu schaffen, so Sport zu machen, dass sie zufrieden damit sind. Was ist da los?

Eine Sport-Routine zu etablieren ist schwer, aber auch das kann man trainieren.
Ähnlich schwer: eine Sport-Routine etablieren

Über die Vorzüge körperlicher Bewegung müssen wir nicht noch mehr erfahren, die meisten von uns sind bereits überzeugt. Wesentlich interessanter ist, wie man es schafft, eine regelmäßige Routine zu etablieren und Energie in ein Training zu stecken, anstatt in ein andauerndes schlechtes Gewissen oder immer wiederkehrende, unüberbrückbare Überwindung.

Wie ist aus mir diese seltsame Person geworden, die morgens im Fitnessstudio als Regular auftaucht, allen anderen Regulars einen guten Morgen wünscht wie in einer besonderen Art von Großraumbüro? Warum fällt es mir mittlerweile nicht mehr schwer, sogar abends noch einen Kurs zu besuchen, obwohl abends Sport machen immer und sehr klar ein Ding der Unmöglichkeit war? Und wie konnte es gelingen, dass mich all das keine echte Überwindung mehr kostet und ich sogar zuhause manchmal kleine Sessions zwischendurch einlege, als wäre es nicht mehr Aufwand als kurz die Pflanzen zu gießen?

Als ich vor zwei Jahren anfing, Sport in meinen Alltag einzuflechten und eine verdammte Gewohnheit daraus zu machen, hatte ich kein hochtrabendes Ziel. Ich fand es lediglich schon immer cool und erstrebenswert, eine tägliche Sportroutine zu haben, war aber auch auf andere Weisen immer zu cool, um sie wirklich durchzuziehen. Eine gewisse Lockerheit kam lange Zeit cooler als disziplinierte Regelmäßigkeit.

Zu dem Zeitpunkt hatte ich kein Geld, um irgendwelche Mitgliedschaften, Kurse, Equipment oder Klamotten zu bezahlen. Was ich allerdings hatte, war das Internet und ein Zuhause. Gemütlich einen Pudding löffelnd versenkte ich mich eines Abends in ein Rabbit Hole aus kurzen Home-Workout-Videos und schaute interessiert anderen beim Sport zu. Ich ließ es langsam angehen, was sich rückblickend als wirkungsvolle Strategie erwies. Mental war der Anfang gemacht. Mental überforderten mich allerdings auch die Masse der Videos, die ausgeprägten Persönlichkeiten, die Musik oder die Zusammenstellung der Übungen.

Um eine Sport-Routine zu etablieren brauchst du kein Equipment.
Anfangen geht ohne viel Equipment

Diese drei Anforderungen erfüllten sich für mich in einem dreieinhalbminütigen Video japanischer Morgengymnastik: Radio Taiso. Radio Taiso wird in Japan seit fast 100 Jahren jeden Morgen im Radio gespielt und gehört für Bauarbeiter genauso zur gemeinsamen morgendlichen Routine wie für Schulkinder. Ich konnte mich mühelos einreihen. Und während ich mit den Frauen unter den blühenden Kirschbäumen zu munterer Klaviermusik extrem behutsam meinen Kreislauf in Betrieb nahm, wurde mir klar, dass mir ein Geniestreich gelungen war:

Eine Ausrede zu finden musste schwieriger sein als die geplante sportliche Anstrengung! Den Anspruch so niedrig zu halten, dass man ihn garantiert dauerhaft erfüllen kann, ist die eigentliche Herausforderung, wenn man etwas zu einer Gewohnheit machen will. Hohe Ansprüche an sich selbst und Idealvorstellungen haben ist leicht. Daran scheitern auch.

Bei meiner Recherche kristallisierte sich bald folgende Erkenntnis heraus:

1. Fang so einfach, klein und aufgeregt wie möglich an

Etwas täglich zu machen klingt anspruchsvoll und ist es gewissermaßen auch. Gewohnheiten und die damit einhergehende Mühelosigkeit, die man sich so sehnsüchtig wünscht, entwickeln sich allerdings ihrer Natur nach durch ständige Wiederholung. ‚Täglich‘ mag also für viele nach ‚zu oft‘ klingen. Aber nichts (außer der eigene Anspruch) hält einen davon ab, sich eine absolut winzige Sache auszudenken, die einem wirklich nicht schwerfällt. Etwas jeden Tag zu machen ist schon schwer genug, die Sache selbst muss es also nicht auch noch sein.

Schließlich geht es zu diesem Zeitpunkt bloß darum, eine Gewohnheit einzuschleifen und eine Stelle in deinem Gehirn und Tagesablauf festzuschreiben, an der für nichts anderes als für Sport Platz ist. Hier geht es noch nicht um Schweiß, der zwischen deinen Brüsten entlangläuft und Pump up the Jam. Hier geht es darum, dafür zu sorgen, dass du dich sehr bald komisch fühlst, wenn du deiner neuen Gewohnheit nicht nachkommst, anstatt sie einfach kurz zu machen.

Streching ist ein guter Anfang einer Sport-Routine
Du bestimmst, was dein Körper gerade braucht.

Zieh dir ein halbes Jahr lang morgens die Laufschuhe an, ohne Laufen zu gehen, mach drei Kniebeugen, lass zehn Sekunden die Hüften kreisen. Oder reiß jeden Morgen ein Blatt von einem Abreißkalender ab – 30 Sekunden, die trotzdem einen festen Platz in deinem Tagesablauf schaffen. Solange es etwas ist, was sich unter allen Umständen einhalten lässt, ist alles erlaubt.

Je alberner und lächerlicher dir die vermeintliche Kleinigkeit erscheint, die du dir aussuchst, umso besser. Für mich waren täglich dreieinhalb Minuten Radio Taiso die perfekte körperliche Unterforderung, um eine solide Basis für eine Sportroutine zu schaffen. Vergiss bloß nicht, sie 10 Wochen täglich zu machen und ihre Lächerlichkeit im Anschluss noch einmal zu überprüfen.

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2. Einmal richtig nachdenken und danach (fast) nie wieder

Mein Vorhaben, regelmäßig Sport zu machen, wurde viele Jahre von inneren Einwänden aufgehalten, die logistisch allerdings nicht so unlösbar waren, wie sie sich ständig darstellten.

Morgens war zu früh, abends zu spät, mittags stand gar nicht erst zur Debatte. Zu einem Zeitpunkt wäre ich zu hungrig, zu einem anderen zu vollgefressen und zu müde sowieso eigentlich immer. Wenn ich es so machen würde, müsste ich mich erst noch einmal umziehen, würde ich es doch anders einrichten, zu einem ungünstigen Zeitpunkt duschen.

So richtig gut wird es einem vermutlich nie passen, also bleibt nur, den Moment zu finden, der am wenigsten schlecht ist. Da meine Überwindungskraft im Laufe des Tages kontinuierlich abnimmt, konnte für mich die Entscheidung nur auf den Morgen fallen.

Das beste Fitnessstudio ist das nächste
Das beste Fitnessstudio ist das nächste

Als ich mich später im Fitnessstudio anmeldete, musste ich nicht lange überlegen, welches das Rennen machen würde – das nächstgelegene natürlich. Andere mögen eine Sauna haben oder weniger kosten, aber das für mich wichtigste Kriterium war die schnelle und unkomplizierte Erreichbarkeit, damit der Mitgliedsbeitrag seinen Zweck erfüllt.

Wenn man schon Sport macht, kann man es sich drumherum so leicht wie möglich machen – die Wege kurz halten, die Auswahl gering, das Equipment essenziell. Sich in Recherchen verlieren, übertrieben lange Bewertungen studieren oder ambitionierte Ausrüstung und Tennisröckchen anschaffen, ist zur Vorbereitung nicht zwingend nötig. Wissen, womit man bislang zuverlässig auf die Schnauze gefallen ist, und den neuen Plan daran auszurichten hingegen schon. Ein Notizbuch oder Planer kann dabei helfen, solche Muster zu erkennen und die neue Routine fest im Alltag zu verankern.

3. Fang immer wieder an

Egal, wie lang du schon geschafft hast, egal, wie gut du bei der Sache bist und alles läuft – es wird nicht so bleiben. Wenn es nicht Krankheit oder Urlaub ist, wird eine andere Unregelmäßigkeit auftauchen, die dafür sorgt, dass deine Routine einbricht und es dabei auf unbestimmte Zeit bleibt.

Du wirst verschlafen, miese Tage haben oder vielleicht sogar wirklich mal etwas Wichtigeres zu tun haben. Das Leben wird weiter passieren, sogar ganz besonders, sobald du anfängst, regelmäßig Sport zu machen. Alles kein Problem, solange du dich davon nicht weiter beeindrucken lässt.

Unterbrechungen haben die Eigenschaft, sich unverhältnismäßig auszuweiten. Hat eine einmal den Fuß in der Tür, gilt es, schnell und entschieden zu handeln. Je länger eine solche Pause geht, desto größer bläst sie sich in unserem Kopf auf und blockiert uns, einfach da weiterzumachen, wo wir aufgehört haben.

Es ist okay, mit der Sport-Routine wieder neu anzufangen
Anfangen, durchhalten, aufhören, wiederholen

Cool ist, wenn das ‚Wiederanfangen’ genauso zur Routine wird und man sich nicht mehr von einer Unterbrechung davon überzeugen lässt, dass ihretwegen alles ohnehin keinen Sinn mehr hätte, weil nun die heilige Ordnung durcheinander ist. Und auch hier hilft es, so bald und klein wie möglich wieder anzufangen und den Weg zum Fitnessstudio durch das zugewucherte Dickicht jeden Tag etwas freier zu schlagen, bis du wieder auf Kurs bist. Jeder Einstieg und auch jeder Wiedereinstieg kann so minimal sein, wie es dir erleichtert, den Anfang zu machen. Wie ist egal, Hauptsache, du fängst so oft wieder an, wie du aufgehört hast. Einfach, stumpf und stoisch.

4. Langsam drauflegen und den Spielplatz ausdehnen

Es dauerte nicht lange, bis ich an Radio Taiso noch eine kleine Sequenz anschloss, die ich „Yogastretch“ nenne, ein paar Übungen, die sich für mich richtig und wichtig anfühlen und je nach Umstand 6-12 Minuten dauern. Ich machte meine kleine Morgengymnastik bestimmt ein halbes Jahr, bevor ich a) wieder genug Geld für eine Anmeldung im Fitnessstudio hatte und b) ich meiner neuen Gewohnheit ausreichend traute. Sport funktioniert wie eine Sucht nach dem Prinzip, Toleranz zu entwickeln. Im Laufe der Zeit wollen und brauchen die Muskeln oder die Ausdauer mehr. Mit Sport wird bloß alles immer geiler, anstatt beschissener wie bei einer Sucht.

Wenn du eine stabile Basis geschaffen und die Schuhe jeden Morgen geschnürt hast (1.), kannst du dem Tag vielleicht zehn weitere Minuten abringen (2.) und der tatsächliche Weg um den See erscheint nicht mehr ganz so verrückt wie noch vor Kurzem.

Erschaffe verschiedene Stufen in deiner Sport-Routine
Erst anfangen, dann steigern

Nachdem ich mich daran gewöhnt hatte, morgens zum Fitnessstudio zu gehen, erschien es mir eines Tages nicht mehr völlig unmöglich, wie mein gesamtes vorheriges Leben, mal einen der Kurse abends auszuprobieren. Seitdem lasse ich mich einmal pro Woche bereitwillig von der Trainerin bei Bauch-Beine-Po anschreien und hasse sie jedes Mal einmal kurz, um sie bald darauf umso mehr zu lieben, weil sie mir Dinge abverlangt, die Wachstumsschmerzen verursachen.

Meine Sportroutine verfügt mittlerweile über verschiedene Stufen. Ich habe sie im Laufe der Zeit erweitert, Gewichte draufgelegt, Spannungen und Wiederholungen erhöht, mir mehr Zeit eingeräumt, neue Geräte, Kurse und Übungen ausprobiert. Phasenweise muss ich aber auch wieder eine Stufe zurück, wegen Punkt 3. Dann schwitze ich nur eine Weile auf der Rudermaschine, anstatt den neuen Trainingsplan einzustudieren, oder schwitze überhaupt nicht und gehe zurück zu Radio Taiso, also meiner persönlichen Stufe 1. Von dieser Basis aus weiß ich, dass ich schnell den Anschluss wiederfinde, wenn ich ihn mal verloren habe, und bald wieder drauflegen kann.

5. Mit der Sport-Routine loslegen

Du hast alles in Erfahrung gebracht, was es zu wissen gibt. Nun bleibt nur noch eins: Mach es dir so einfach wie möglich und fang so klein es geht an.

Echte Texte von echten Menschen: Bei diesem Artikel kam keine künstliche Intelligenz für die Erstellung von Texten und die Recherche von Inhalten zum Einsatz.

Daune Stein

Daune Stein ist Autorin und denkt sich gerne Namen aus. Am liebsten schreibt sie, worüber die wenigsten sprechen. Sie lebt in Berlin und tut was sie kann.

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