Einfach mal Scheitern: Über einen entspannten Umgang mit Misserfolgen

Misserfolge werden oft direkt positiv umgedeutet, anstatt verkraftet zu werden und Scheitern und Selbstvorwürfe gehen gerne Hand in Hand. Eine Auseinandersetzung mit dem Scheitern hilft, nachsichtiger mit sich selbst zu sein, wenn die Dinge anders kommen als erhofft.

Auch die Schattenseiten des Lebens zulassen

Stellt euch mal vor, ihr könntet ganz in Ruhe und entspannt scheitern. Stellt euch vor, ihr würdet euch die nötige Zeit nehmen, Misserfolge, Verluste und Desillusionierungen zu verkraften, anstatt direkt nach einer positiven Umdeutung zu suchen oder euer Schicksal als verkleideten Glücksfall zu deklarieren. Wie wäre das? Wie können wir dem Unvermeidlichen trotzdem entspannter und freundlich zu uns selbst und anderen begegnen? Denn eins steht fest: Scheitern, das tun wir ausnahmslos alle, manche bloß lauter, andere leiser.

Was Scheitern mit Holz zu tun hat

Scheitern ist ein anderes Wort dafür, einen Misserfolg zu verzeichnen zu haben. Ein Wort, das etwas drastischer und unwiderruflicher klingt als ein einfaches „hat nicht geklappt“. Es findet Verwendung, wenn wir ursprünglich gesteckte Ziele nicht erreichen, wir nicht weiterkommen, einen einmal eingeschlagenen Weg wieder verlassen oder auch einfach nur etwas nicht so funktioniert, wie wir es uns vorgestellt haben. Die Herkunft des Wortes ‚Scheitern‘ erklärt schnell, weshalb es oft so starke Reaktionen auslöst – insbesondere Reaktionen der Abwehr.

Ein Scheit bezeichnet ursprünglich ein Stück Holz, ein gespaltenes Stück Holz, ein Holzscheit eben. Türmt man eine größere Anzahl davon auf, hat man einen Scheiterhaufen. Und spätestens hier dämmert einem, warum wir mit dem Wort keine angenehmen Gefühle verbinden: Der Scheiterhaufen war in vergangenen Zeiten ein Ort, an dem sehr viele Menschen zu Tode gekommen sind, von denen sich einige einer vermeintlichen Straftat schuldig gemacht hatten, andere lediglich nicht zum Mainstream der Zeit passten und das bereits Straftat genug war. Auf jeden Fall ist klar, dass es von dort für niemanden mehr weiterging. Mit diesen Hintergrundinformationen erstaunt es nicht weiter, dass wir uns schwertun, wenn es ums Scheitern geht und das Bedürfnis groß ist, es dementsprechend umzudeuten oder anders auszudrücken. 

Die Unterdrückung des Scheiterns

Diese Abwehr, die das Wort oder das Gefühl des Scheiterns in uns auslöst, treibt allerdings teils fragwürdige Blüten: Nicht selten geschieht es, dass ein Scheitern schlichtweg komplett negiert wird. Anstelle von Krisen, Problemen und gescheiterten Vorstößen werden diese Wörter gelöscht und in Chancen, Herausforderungen und Gründe für glücklichere Umstände verwandelt. Darin sind sicher Körner von Wahrheit enthalten, aber eben auch eine Menge Anstrengung, unangenehme Gefühle und potenziell schmerzhafte Erkenntnisse zu unterdrücken. Wahrscheinlich kommen wir allerdings gesünder durch die Sache durch, wenn wir nüchtern feststellen können, dass wir mit irgendeiner Angelegenheit nicht weiterkommen oder ein Ziel nicht erreichen können, dies als Tatsache annehmen, uns etwas Zeit für die mentale Verdauung nehmen und dann einen anderen Weg planen oder andere Ziele finden.

Auch mal in Ruhe trauern

Unter Umständen ist die Verweigerung, einen Misserfolg als solchen anzuerkennen und mit ihm alle unangenehmen Gefühle einfach viel anstrengender als ehrlich mit sich und seinem Umfeld zu sein. „Wenn dieses und jenes nicht schiefgegangen wäre, dann wäre ich jetzt nicht in der glücklichen Position, in der ich jetzt bin“ ist ein Klassiker der Scheiterverweigerung.

Auf ein Beispiel angewendet: „Wenn nicht alle Beziehungen vor der jetzigen gescheitert wären, hätten wir uns nicht kennengelernt und das wäre ein echter Jammer gewesen.“ Es ist natürlich ein Weg, vergangene Geschichten ohne Happy End emotional zu glätten, indem man ihnen etwas Gutes abzugewinnen versucht. Es hätte bloß keinen Grund gegeben, sich kennenzulernen, wenn man in vergangenen Beziehungen glücklich geblieben wäre. Vergangenes Unglück ist also keine nötige Bedingung für gegenwärtiges Glück.

Scheitern früher und heute

Zur Zeit der Scheiterhaufen im Mittelalter herrschte eine starre Ständegesellschaft vor, die die soziale Position einer Person bestimmte und praktisch unveränderlich war. Dazu kam eine große Gottesfürchtigkeit, was in Kombination zum Ergebnis hatte, dass sich die Menschen überwiegend ihrem „Schicksal“ fügten und sich in sowohl soziale Positionen als auch den „gottgegebenen“ Weg einfanden. Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung standen noch nicht auf der Tagesordnung. Wenn man sich den Normen der Gesellschaft widersetzte oder ihnen aus irgendwelchen Gründen nicht entsprach, konnte dies unwiderruflich schlimme Folgen für einen haben.

Im Gegensatz zur Zeit der Scheiterhaufen ist die mittelalterliche Ständegesellschaft heute glücklicherweise aufgebrochen und die Positionen, die man sozial einnehmen kann sind flexibler. Aber mit jeder Verbesserung auf der einen Seite, können negative Effekte auf der anderen Seite einhergehen. Nicht falsch verstehen, ich möchte nicht zur Rückkehr in die mittelalterliche Ständegesellschaft aufrufen. Ich möchte nur darauf aufmerksam machen, dass Scheitern damals ein Umstand war, den sich die Leute wahrscheinlich nicht in dem Maße selbst zugeschrieben haben wie heute. Die meisten Aspekte in ihrem Leben waren ohnehin gesetzt oder vorbestimmt, oder schienen zumindest so und der Grad des eigenen Einflusses war verschwindend gering bis nicht vorhanden.

Mythos: „Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied“

Im Gegensatz dazu bekommen wir heute vermittelt, dass wir „alles schaffen können, was wir wollen, wenn wir nur wollen“. Das ist zwar Quatsch, aber es gibt bekanntlich viel Quatsch, der sich hartnäckig hält, so eben auch der Mythos, dass wir uns sowohl Erfolge als auch Misserfolge ausschließlich persönlich zuzuschreiben haben. Wir sind freier als früher und es gibt mehr Möglichkeiten und Aussicht auf Erfolg, etwas zu erreichen, was man will, aber da hört die Geschichte nicht auf. Viele von uns haben erfahren, dass Anstrengung allein nicht reicht, um zu bekommen, was man im Leben braucht oder sich wünscht.

Du allein bist deines Glückes Schmied?

Wenn man allerdings praktisch keinen Einfluss auf die Entwicklung gewisser Umstände hat, so wie damals, hat man dementsprechend auch nicht so sehr das Gefühl von persönlicher Verantwortung für die Situation, in der man sich befindet oder den Verlauf, den das eigene Leben nimmt. Unser Gestaltungsspielraum hat sich vergrößert, und in dem Maß, in dem sich die Freiheit vergrößert hat, hat sich auch unsere Verantwortung vergrößert. Sobald die Nutzung dieser Freiheit nicht glückt, fühlen wir uns verantwortlich, da ein Misserfolg auf uns selbst zurückfällt, wenn man z.B. kein mittelalterliches Ständesystem oder eine religiöse Figur in erster Linie in Verantwortung sieht.

Das ist ein Grund, der Scheitern so schmerzhaft für uns macht. Wir haben das Gefühl, es liegt an uns, nur an uns, wenn etwas nicht klappt. Keine höhere Macht lenkt unser Schicksal, sondern nur wir selbst sind verantwortlich oder haben Schuld. Im Falle eines Misserfolgs oder Misslingens bekommen wir schnell das Gefühl, persönlich versagt zu haben und neigen zu Selbstverurteilung dafür.

Gesünder scheitern

In Wirklichkeit sind wir aber nicht allmächtig. Zwar tragen wir selbstverständlich Verantwortung für unser Tun, aber zu den Ergebnissen tragen auch weitere Faktoren und Umstände bei, auf die wir nicht immer direkt einwirken können. Unser Umgang mit Fehlern, die wir gemacht haben, Versuchen, mit denen wir gescheitert sind, aber auch unser Umgang mit Erwartungen an uns selbst und den Erwartungen, die wir von der Gesellschaft spüren, hat einen großen Einfluss auf unsere mentale Gesundheit. Um diese zu schützen, hier ein paar Vorschläge zum Umgang mit Misserfolgen:

1. Scheitern verbindet

Scheitern ist etwas zutiefst menschliches und wir werden vermutlich, anders als wir es vielleicht erwarten, warm und freundlich aufgenommen von Anderen, wenn wir uns ehrlich mitteilen. Wir können tendenziell leichter mit Menschen sympathisieren, die nicht perfekt sind und denen nicht alles gelingt, weil genau das sie menschlich und nahbar macht.
Nicht selten bieten Geschichten des Misslingens sogar einige Anlässe, sich gemeinsam zu amüsieren. Über die Unwägbarkeiten, Zufälle, oder Umstände, die unsere Pläne auf den Kopf stellen. So kann Scheitern auch eine Gelegenheit sein, sich mit anderen zu verbinden, zu weinen, zu lachen, oder zu reflektieren.

2. Fakten statt Fatalismus

Kann überhaupt wirklich bereits von Scheitern die Rede sein? Ist die Situation unwiderruflich unveränderbar? Gibt es wirklich keine Chancen mehr? Oder hast du vielleicht einfach nur einen Fehler gemacht, kannst einen anderen Weg versuchen oder nochmal Anlauf nehmen? Scheitern ist drastisch, aber oft ist die Situation gar nicht so arg, wie wir sie in diesem Moment vielleicht empfinden.

3. Der Blick nach vorne

Falls du dir Vorwürfe machst, denk darüber nach, welche weiteren Umstände neben dir zu dem Ergebnis geführt haben, das nicht deinen Vorstellungen entspricht. Überlege nüchtern, was du in Zukunft anders oder besser machen kannst, anstatt dich dafür zu verurteilen, was passiert ist. Du bist unter keinen Umständen allmächtig und damit alleinverantwortlich für alles, was in deinem Leben passiert.

4. Zeit zum Trauern

Nimm dir die Zeit, die du brauchst, um einerseits zu akzeptieren, dass du nicht bekommen hast, was du wolltest und dies andererseits auch zu betrauern, da es nun einmal traurig ist, Verluste zu beklagen zu haben, Verluste von Plänen, Illusionen, Wünschen, Vorstellungen. Es spricht nichts dagegen, irgendwann auch Gutes in den Entwicklungen zu erkennen, aber es gibt keinen Grund, dir Stress zu machen, dazu sofort in der Lage zu sein.

5. Verbunden bleiben

Das Gefühl des Gescheitert-Seins ist auch immer das Gefühl, ausgeschlossen aus der Gemeinschaft zu sein. Dass wir uns davor fürchten, ist normal, weil wir soziale Wesen sind. Wenn wir uns gescheitert fühlen oder gescheitert sind, haben wir den Eindruck, den Erwartungen der sozialen Norm nicht gerecht geworden zu sein, oder unseren eigenen Erwartungen. Den Erwartungen der Gesellschaft werden wir nie genügen können, dafür handelt es sich um ein viel zu schwammiges Gegenüber. Meistens sind es aber unsere eigenen Erwartungen an uns selbst, denen wir nicht gerecht werden, die sich für uns aber anfühlen, als seien es gesellschaftliche Erwartungen. An unseren eigenen Erwartungen können wir eher etwas ändern, als an den vermeintlichen Erwartungen der Gesellschaft. Deswegen sei dir selbst ein*e gute*r Freund*in und involviere auch andere in deine Gefühlswelt, um dich zu stärken und das Gefühl der Angst vor Ausschluss zu verringern.

Und weil Scheitern verbindet: Wann hattest du das letzte Mal das Gefühl, du wärst gescheitert?

2 comments on »Einfach mal Scheitern: Über einen entspannten Umgang mit Misserfolgen«

  1. Derzeit fühlt es sich so an, als wäre ich mit meinen aktuellen Patient*Innen gescheitert. Hier kam es zu vorzeitigen Beziehungsabbrüchen in der Therapie, die ich nicht verhindern konnte. Das tut mir weh. Dennoch glaube ich, dass ich viel daraus mitnehmen konnte und hoffe dasselbe ebenfalls für meine Patient*Innen.

  2. Karina Ramuschkat

    Ich bin gerade jetzt in meinem Leben gescheitert, an meiner vermeintlichen Berufung in meinem Job. Ich habe etwas aufgebaut, mich gut gefühlt, ich durfte frei denken, wie ein Offroadfahrer, sicher praktikabel und Gelände angepasst. Durch den Erfolg brauchten wir Verstärkung, mein Untergang des freien Denkens. Bildlich gesprochenen, es waren mit einmal nur noch Straßen mit Ampeln und vielen mobilen Blitzern. Kein freies Denken mehr, kein freies Handeln mehr. Immer unter Beobachtung, daran bin ich gescheitert. Ist mein Konzept gescheitert? Nein!
    Ich bin gescheitert,ich wollte nicht wahrhaben das jemand Straßen gebaut hat. Ich nehme mein Scheitern hiermit an!
    Ein neuer Lebensweg wird kommen, wenn ich bereit bin neuen Menschen zu vertrauen, ein neues Offroadgebiet zu befahren. Mit der Prämisse, das es Offroadgebiet bleibt.

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