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Vertrauen ist Mut und Kontrolle nicht besser

„Kontrollieren“ erscheint mir recht negativ behaftet. Ich denke als Erstes an Macht und Manipulation und das bestätigt auch der Duden: Bei Kontrolle handelt es sich um dauernde Überwachung, um eine Überprüfung, der jemand unterzogen wird, um Herrschaft, ja sogar Gewalt, die man über jemanden oder etwas hat. Aber ich denke eben auch an Sicherheit und Ordnung, Planbarkeit, an Vertrauen und daran, dass es gut zu wissen wäre, wie ich Kontrolle für mich nutzen kann ohne anderen – und mir selbst – zu schaden.

Perfekt kontrollieren

Wenn ich über Kontrolle und seinen Gegenspieler, das Vertrauen, sinniere, komme ich nicht an dieser Geschichte vom Mut vorbei: Jemand erzählte mir zu Schulzeiten, dass jemand jemanden kenne, dessen Abituraufgabe darin bestand, zu erklären, was Mut ist. Der Schüler habe auf das Blatt geschrieben: „Das ist Mut.“, und bereits nach fünf Minuten statt den angesetzten fünf Stunden abgegeben. Nach dem Erzählen dieser Anekdote folgte eine kurze Pause seitens des Erzählenden, es folgte ein bedeutungsschwerer Augenaufschlag, der mir signalisieren sollte, dass das nun wirklich eine mutige Sache gewesen war, und ich dachte: Jawollo, das ist Mut, wow. Als Jugendliche hat mich das ziemlich beeindruckt.

Auch die pinken Haare von Julia, dem Mädchen aus konservativem Haus oder Maries Widerstand gegen die sexistischen Äußerungen eines Lehrers statt ihm für gute Noten gefällig zu sein, empfinde ich heute noch als Mut-Geschichten. Ich dagegen war eine gute Mischung, hatte mich perfektioniert, weil ich ein gutes Gespür dafür hatte, was mein Gegenüber von mir gern hätte. Wenn ich auf dieses Teenager-Mädchen zurückschaue, möchte ich es gern drücken. Aber ich möchte mich auch heute noch manchmal umarmen, wenn ich bemerke, wie ich wieder versuche, perfekt zu sein.

Die Perfektion, die ich vor der Geburt meiner Tochter an den Tag legte, stand dem Perfektionismus zu Schulzeiten in nichts nach. Ich las Eltern- und Schwangerschaftsratgeber im zweistelligen Bereich und alles sollte natürlich sein: natürliche Geburt, bedürfnisorientiertes Stillen, nur selbst gekochter Bio-Brei, Stoffwindeln, Holzspielzeug, am besten gebraucht. Vor der Geburt sortierte ich die gesamte Wohnung unter der Prämisse der Nachhaltigkeit aus, stellte den Einkauf komplett auf Unverpackt/Bio um. Das Erwachen kam schnell. Ich gebar anders als geplant, das Stillen klappte nicht. 

Können ein Lied von unerfüllbaren Erwartungen singen: Mütter

Aber ist das wirklich Perfektionismus, den wir betreiben und in Bewerbungsgesprächen unter „Schwächen“ aufzählen, weil wir wissen, dass diese Eigenschaft von den Personaler*innen dann doch als positiv, weil leistungsstark, ausgelegt wird? Hinter dem Wunsch nach Perfektionismus sehe ich vor allem eines: Kontrolle. Kontrolle. Kontrolle.

Ich sehe Freund*innen, die versuchen ihre Partner*innen zu kontrollieren. Aus der Angst heraus, dass die Beziehungen schiefgehen könnten, dass ihre eigene emotionale Sicherheit nicht in ihrer Wirksamkeit liegen könnte, nehmen sie unterbewusst oder bewusst Einfluss und manipulieren die Menschen, die sie umgeben. Ich verstehe das, als Mittzwanzigerin konnte ich es nur schwer hinnehmen, dass Menschen ein schlechtes Bild von mir haben könnten und habe in Gesprächen versucht, das Bild anderer von mir zu verändern. Ich log nicht, aber ich gab genau das von mir preis, von dem ich dachte, dass es mit der Meinung des Gegenübers resoniert.

Ein befreundetes Paar ist seit einigen Jahren auf Immobiliensuche. „Es ist nie das richtige dabei“, sagen sie. Eine andere Freundin sinniert nach einem noch nicht lange zurück liegenden Umzug: „Wo will ich leben? Wie will ich leben? Bin ich in der Stadt, will ich aufs Land. Bin ich im Grünen, fehlen mir Menschen. Und die Möglichkeiten! Will ich darauf verzichten?“ Die Frage nach dem Wohnort und der Wohnform wird zum Ausdrucksmittel der Persönlichkeit. Mode war gestern, Immobilien sind heute. 

Mutig vertrauen

Ob wir uns wünschen, die Meinung anderer kontrollieren zu können, uns sicher zu fühlen, uns vor Verlusten zu schützen, Fehler zu vermeiden, nicht abgelehnt zu werden: Wir setzen Kontrolle zur Vermeidung negativer Erfahrungen ein. Um das Unangenehme nicht erleben zu müssen, benutzen wir einen Schutzmechanismus, obwohl wir wissen, dass das nicht möglich ist. Die Sicherheit, die wir uns als Schutz aufzubauen glauben, existiert nicht. Sie ist eine Illusion.

Ich kann versuchen, mich zu optimieren, und trotzdem nicht sicher sein, dass ich gemocht werde. Mich Übermutter auf alles vorzubereiten, kann mein Kind nicht vor allen möglichen Gefahren bewahren. Perfektionismus kann sehr wohl als Schwäche ausgelegt werden. Der Versuch, die Menschen in meinem Umfeld zu kontrollieren, erlaubt mir nicht, sie (emotional) festzuhalten. Versuche ich ihre Meinung über mich zu beeinflussen, fällt sie wahrscheinlich nicht zum Positiven aus. Und ganz gleich, wie sehr ich bemüht bin, Fehler zu vermeiden, begehe ich den größten, in dem ich mit einer ewigen Suche und Reue beschäftigt bin, statt zu leben.

Das Gefühl von Zugehörigkeit nicht durch zu viel Kontrolle sabotieren

Wir müssen akzeptieren, dass unser Wirkungsbereich Grenzen hat und dass dieser dort endet, wo der Wirkungsbereich eines anderen beginnt. Es liegt nicht in meiner Möglichkeit, das Denken und Handeln anderer nachhaltig zu beeinflussen. Aber ich kann beeinflussen, was ich tue und glaube. 

Wir nutzen Kontrolle, um unangenehme Gefühle zu vermeiden. Wut, Traurigkeit, Einsamkeit, Eifersucht und Missgunst sind eine Auswahl an negativ konnotierten Emotionen, die wir nicht fühlen wollen. Unsere und vorhergehende Generationen haben gelernt, dass diese Emotionen unerwünscht sind und schnellstens abgestellt gehören. Diese Erfahrung trägt dazu bei, dass wir diese Gefühle nicht zulassen oder aushalten können. Es ist auch beängstigend, dass Gefühle manchmal unvorhersehbar über uns hereinbrechen und wir uns hilflos und ausgeliefert fühlen.

Mir hilft es, zu wissen, dass Gefühle nicht von Dauer sind. Keine Emotion währt ewig, weder eine gute, noch eine schlechte. Genau genommen dauert jedes Gefühl neunzig Sekunden. Wenn es länger andauert, dann weil wir dem Gefühl bewusst oder unbewusst Raum geben. Ich fühle mich mit diesem Wissen meinen Gefühlen weniger ausgeliefert und kann sie als das betrachten, was sie sind: Gefühle. Wie Peter Egly so schön sagte:

„Gefühle sind echt, aber sie sagen nicht immer die Wahrheit.“

Peter Egly

(Wichtig: Bei psychischen Erkrankungen erfordert das eine differenziertere Betrachtung. Dass Betroffene von ihren schwierigen Emotionen vereinnahmt werden, liegt keinesfalls an einem mangelnden Willen)

Tritt trotzdem genau das ein, was wir gefürchtet haben und wir verlieren die Kontrolle über uns und andere, ist das vor allem zutiefst menschlich. Es ist schmerzlich und lässt uns roh und wund fühlen, gibt uns aber auch die Chance, uns (wieder) eine gesunde Kontrolle über uns zurück zu erarbeiten. Dabei geht es nicht darum, jeder kommenden Emotion vorweg zu greifen, was unvermeidbar und illusorisch ist. Was wir aber lernen können, ist, unseren eigenen Wirkungsbereich zu nutzen und zu akzeptieren, wo seine Grenzen liegen. Ich nutze dafür Ein guter Tag, aber jedes andere Notizbuch oder Blatt Papier geht auch. Ich notiere mir dort, was meinen Tag ausgemacht hat, und schreibe auf, wofür ich dankbar bin und was ich gut gemacht habe.

Was du kontrollieren kannst: wie sehr du dir selbst vertraust

Was es braucht, um Kontrolle loszulassen, ist Mut. Es braucht Mut, um sich selbst zu vertrauen, dass wir negative Emotionen aushalten können und werden und dass wir negative Situationen bewältigen können. Dass Kontrollverluste unabwendbar sind und dass das nicht zwangsweise eine Katastrophe sein muss. Wenn es um Vertrauen geht, hätten wir gern einen Vorschuss. Wir würden gern kurz um die Ecke sehen, ob sich das Vertrauen auch lohnt, aber so funktioniert es nicht. Vertrauen beinhaltet immer auch den Mut, das (noch) Unbekannte zuzulassen. Ob es dafür pinke Haare oder einen Mittelfinger braucht, ist Ansichtssache. In einer Abiturprüfung seine Faulheit mit Mut zu begründen, ist übrigens eine Mutprobe.

Meine Kontrollverlust-Hilfen in kurz und knackig

(Wichtig: Es handelt sich um persönliche Erfahrungen, die für mich funktionieren. Sie ersetzen keine psychologische Hilfe)

  1. In Akutsituationen, also z. B. einem Wutausbruch, versuche ich allein zu sein. Ich versuche für mich zu sein und das Gefühl auszuleben. Das hilft mir anzunehmen, was gerade mit mir passiert.
  2. Ich versuche mich daran zu erinnern, dass kein Gefühl von Dauer ist, dass ich mitbestimmen kann, wann ich es genug durchlebt habe. 
  3. Einfache Atemübungen, wie 4 Sekunden ein- und 8 Sekunden auszuatmen, helfen mir, mich zu beruhigen.
  4. Manchmal presse ich auch die Daumenkappe abwechselnd gegen jede einzelne Fingerspitze, um wieder mehr in der Realität als in meinem Kopf zu sein.
  5. Falls ich mich nicht beruhigen kann, gehe ich raus. Meistens hilft mir ein Spaziergang oder eine Laufrunde im Grünen. Dabei andere Menschen zu sehen, stärkt meinen Realitätsbezug.
Echte Texte von echten Menschen: Bei diesem Artikel kam keine künstliche Intelligenz für die Erstellung von Texten und die Recherche von Inhalten zum Einsatz.

Maria Anna Schwarzberg

Maria Anna Schwarzberg ist Podcasterin auf Vollkommen Unperfekt und (Buch-)Autorin, für die nach einem Burnout mit 25 Achtsamkeit nicht länger eine lästige Unterbrechung war. Website PodcastInstagram

6 Kommentare zu »Vertrauen ist Mut und Kontrolle nicht besser«

6 Gedanken zu „Vertrauen ist Mut und Kontrolle nicht besser“

  1. Danke für diesen Artikel! Genau das ist das Thema, das ich auch gerade mit mir selbst bearbeite 😉 Zu erkennen, dass dies ein Thema ist, war allerdings bereits ein sehr großer Schritt – nun kann es weitergehen.

    Antworten
  2. Hallo Maria,

    dein Artikel ist wunderbar. Er ist mir eine Inspiration und große Hilfe. Es fällt mir allerdings schwer mich zu loben, obwohl ich weiß, dass ich vieles gut und richtig machen. Es ist auch schwer für mich zu sagen für was ich dankbar bin, da ich weder Freunde noch Familie habe.
    Ich wünsche dir alles Gute.

    LG Ayleen

    Antworten
    • Hallo Ayleen,

      dein Kommentar hat mich berührt und auch mir geht es so, dass es mir sehr schwer fällt positive Eigenschaften in mir selbst zu finden.
      Ich bin mir sehr sicher, dass du viele davon besitzt, auch wenn du dich vielleicht noch auf die Suche nach ihnen machen musst, weil sie vor dir selbst und deinem kritischen Auge verborgen sind. Halte die Augen auf und sei gut mit dir selbst, dann wirst du den Weg dort hin schon finden. Und wenn du für eines dankbar sein kannst, dann für dich selbst. Und dafür, dass du beispielsweise diesen Artikel gelesen hast, nur für dich, um daraus vielleicht etwas für dich mitzunehmen.

      Ich hoffe du hast einen wunderschönen Tag

      Antworten

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