Es passiert nicht am laufenden Band, aber hin und wieder gibt es so Tage, an denen einfach alles super ist. Niemals wird sich rückstandslos entschlüsseln lassen, welche Faktoren da zusammenspielen. Aber ebenso, wie es Morgen gibt, an denen ich kräftig cortisolgeflutet werde, gibt es auch solche, an denen Serotonin und Dopamin munter Hand in Hand durch mein Gehirn hüpfen und sich die tollsten Dinge für die kommenden Stunden ausdenken.
An diesen Tagen sind nicht nur alle Ampeln grün, sondern geht insgesamt einfach alles wunderbar auf und niemand weiß warum. Dann freue ich mich, dass alle Voraussetzungen dafür geschaffen sind, um mir einen Kaffee zu machen und wenn ich mit diesem Kaffee zurück ins Bett krabbel und ein Buch aufschlage, zwickt es mich richtig ein bisschen vor Freude. Dann sitze ich da und denke: „Wow. Kaffee. Hat genau die passende Temperatur. Schmeckt köstlich. Fühlt sich gut im Hals an, diese genau passende Temperatur. Und wie cool ist das eigentlich, dass ich direkt wieder im Bett sitze und es warm und gemütlich habe? Dazu ein Buch auf dem Schoß? Vor hundert Jahren hätten die Menschen so einen Morgen wenn‘s hoch kommt ein Mal im Jahr gehabt. Toller Schlafanzug übrigens, den ich da an hab!“
So und ähnlich geht das dann den ganzen Tag einfach weiter. Mein Kopf wird zu einer Synonymmaschine für positive Bewertungen.
Einmal in der Aufwärtsspirale, find ich klasse und bemerkenswert, was eigentlich so alles richtig gut funktioniert. Wasser kommt aus der Wand und fließt wieder ab. Genug Geld ist da, um leckere Sachen kaufen zu können, ausreichende Fähigkeiten, um etwas Wunderbares zu kochen. Gefolgt von Begeisterung, wie sich ein*e Autor*in so eine hervorragende Formulierung hat einfallen lassen können, Hingerissenheit, wie ein*e Musiker*in ein solches Kunstwerk erschaffen konnte.
An solchen Tagen kann es auch durchaus passieren, dass ich mal kurz Pause mache, weil ich plötzlich verdammt froh bin, dass ich gerade gesund bin und alles an und in meinem Körper überwiegend in Ordnung ist. Oder einen Moment der Ergriffenheit erlebe, wenn ich daran denke, wie toll ich meine Freunde finde und wie endlos lieb ich sie habe. Wenn ich eine Aufgabe erledigt habe und schwer zufrieden mit mir bin. Dopamin im Galopp. An diesen Tagen hat die Amygdala Urlaub. Da kann mir kaum etwas passieren. Da bin ich gepanzert mit einer Aura aus Teletubbies. Und am Abend, wenn ich wieder im Bettchen liege, werde ich vor Gemütlichkeit fast ohnmächtig und brauche trotzdem lange zum Einschlafen, weil ich so beschäftigt damit bin, mich wohl zu fühlen.
Diese Tage, die von so einem, versprochen, substanzfreien und unergründlichen High bestimmt sind, das sich in dieser Ausprägung leider nicht willentlich herbeiführen lässt, kommen bei Licht betrachtet eher selten vor. Aber sie lassen sich begünstigen und gewissermaßen einüben, so dass öfter mal ein guter Tag bei rausspringt, oder ein nicht so toller Tag milder betrachtet werden kann, denn irgendetwas findet sich immer, wofür man dankbar ist.
Schilderungen schlechter Tage braucht kein Mensch. Jede*r hat mutmaßlich ein prall gefülltes Archiv mieser Tage, dem keine weiteren Beispiele hinzugefügt werden müssen.
Dass unser Gehirn von Negativem magnetisch angezogen wird und Positives tendenziell abstößt, ist – Überraschung!- evolutionsgeschichtlich begründet. Überlebenstechnisch war und ist es von größter Bedeutung, Gefahren zu erkennen, einzuschätzen und zu vermeiden. Diese Einrichtung unseres Gehirns tut uns heutzutage allerdings nicht nur gut. Nicht selten entsteht ein Überhang auf der negativen Seite, der sich manchmal verselbstständigt und uns eher schadet als schützt. Unsere Realität ist etwas unübersichtlich geworden, da kann schon mal was schiefgehen und falsch zugeordnet oder eingeschätzt werden. Es gibt zu viel des Guten, aber auch zu viel des Schlechten, klare Sache.
Auch wenn es wichtig ist, das Negative und eventuelle Gefahren zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren, liegt die Betonung auf angemessen. Mit größter Gewissheit schadet es uns nicht, zumindest etwas mehr Gerechtigkeit walten zu lassen und Raum für das Positive zu schaffen. Das Negative wird dadurch nicht verdrängt, keine Sorge, wir werden nichts verpassen was schlimm ist. Es hat seinen festen Stammplatz, den es auf alle Zeiten verteidigen und uns zu jeder Tages- und Nachtzeit auch ungefragt informieren wird.
Um das Negative müssen wir uns also nicht aktiv bemühen. Das kommt und macht sich ganz von selbst bemerkbar. Besser handhaben können wir es allerdings, wenn wir auch ausreichend Positives angereichert haben. Darum allerdings müssen wir uns aktiv bemühen, denn Happy-go-lucky ist nicht die Norm. Auch wenn wir es oft nicht wahrhaben und zulassen wollen, aber wenn wir mal ganz ehrlich sind, vergeht kein einziger Tag, ohne dass irgendetwas Gutes passiert, immerhin passabel war, sich eigentlich gar nicht schlecht, vielleicht sogar gut oder ein bisschen fantastisch angefühlt hat, oder zumindest die Abwesenheit von Katastrophen zu verzeichnen ist. Gewagte These, die ich nicht wissenschaftlich untermauern kann, aber einfach mal behaupte.
Die miesen Tage sind also ganz ohne unser Zutun mies. Um die brauchen wir uns nicht weiter zu kümmern. Die guten Tage hingegen brauchen noch ein wenig Übung. Aber zum Glück ist unser Gehirn ein Wunderding, dem man Dinge beibringen kann. Sogar gute Tage. Wir können unser Gehirn füttern, wie ein Sparschwein, mit vielen kleinen und größeren Münzen, mit Vermerken guter Erlebnisse. Oder wie ein Rucksack, in den wir alles hineintun, was uns Gutes auf dem Weg begegnet.
Wenn dann die nächste Katastrophe oder der nicht so tolle Tag um die Ecke kommt, kann uns das nur halb so schlimm erschrecken, weil wir dem nämlich etwas entgegenzusetzen haben. Das Negative lässt sich leichter abfedern, wir landen nicht ganz so hart und können Herausforderungen und Rückschlägen besonnener begegnen. Und nicht nur das. Insgesamt lebt es sich ausgewogener, wenn man Platz für das Gute schafft, anstatt sich in den Störenfrieden zu verbeißen. Dankbarkeit ist ein schönes Gefühl.
„Happiness is a warm blanket.“
– Charlie Brown
Dem Guten Platz einräumen, können wir auf verschiedene Weise. Wir können darüber reden, darüber schreiben oder daran denken und darüber reflektieren. Malen, singen, tanzen oder diverse Kunstprojekte sind natürlich auch möglich. Ratsam ist allerdings wahrscheinlich eine Variante, die uns so oft wie möglich so leicht wie möglich fällt.
- Finde heraus, auf welche Art du dir das Gute in deinem Leben am einfachsten vergegenwärtigen kannst. Kannst du es regelmäßig in den Austausch mit anderen einfließen lassen? Schreibst du gern Tagebuch? Ist es dein Ding, Reminder einzurichten, um regelmäßig kurz in dich zu gehen und zu überlegen, was du heute schon Gutes erlebt hast? Alles ist möglich und zum Glück gibt es ja auch das Dankbarkeitstagebuch Ein guter Tag.
- Wenn die Absicht gefasst ist und das passende Medium gefunden, fehlt es trotzdem manchmal noch an Inhalten. Wie an so vielen anderen Stellen, ist auch hier weniger oft mehr. Es ist besser, wenn du z.B. aufschreibst, dass du heute froh warst, die Bahn doch noch erwischt zu haben, wenn du wirklich froh darüber warst, anstatt dir Freude über Umstände einzureden, die du nicht wirklich fühlst. Natürlich schadet es nicht, mal ein wenig im Sammelsurium der Selbstverständlichkeiten zu kramen und zu schauen, ob es da nicht etwas gibt, dem man auch mal eine besondere Würdigung zukommen lassen kann. Aber im Großen und Ganzen ist es schon prima, wenn du einfach ein paar Dinge Revue passieren lässt, die dir gut gefallen haben. Auch wenn du anfangs vielleicht denkst, du hättest keine Ideen oder dir seltsam dabei vorkommst, scheinbar unbedeutende Dinge zu vermerken – es ist kein Kreativitätscontest und die Bedeutsamkeit liegt darin, dass du dich dankbar für etwas fühlst.
- Um dennoch bei Bedarf etwas auf die Sprünge zu helfen, gibt es hier noch eine kleine Sammlung von „Dingen“ auf der Welt, die ich wunderbar, fantastisch, köstlich, bezaubernd, faszinierend, aufregend, total toll, hervorragend oder einfach richtig gut finde und mich froh, zufrieden oder stolz macht:
Hunde. Katzen. Tiere generell. Donuts. Frische Luft. Wärmflaschen. Stricken. Bücher. Geschenke machen. Blumen. Fürsorglichkeit. Im Wald sein. Nackt im See baden. Überraschungen. Andere Menschen. Dinge die funktionieren. Lösungen finden. Pläne schmieden. Kochen. Terra X gucken. Pflanzen gießen. Nagellack. Tieren beim Trinken zugucken. Beobachten. Saatgutkataloge. Etwas lernen. Liebe. Schreiben. Dinge, die gut riechen. Übersichtlichkeit. Genug Holz im Schuppen. Der neue gute Bäcker in der Nähe. In Ruhe denken. Zahnseide benutzen. Yoga. Aufgaben erledigen. Ja sagen. Nein sagen. Hilfreich sein. Kritzeln. Musik. Fußbäder. Auto fahren. Mich kompetent oder inspiriert fühlen. Rücksicht. Kerzen. Fahrrad fahren. Tee trinken. Aus dem Fenster gucken. Gärten. Bäume. Hormone. Engagement. Regenwürmer. Wäsche aufhängen. Und natürlich eine warme Decke.
Jetzt seid ihr dran. Auch die Kommentarfunktion eignet sich prima für eine Fortsetzung dieser Sammlung.
Leseempfehlung und weitere Inspiration zum Thema: Leo Lionni: Frederick 978-3407770400
Wie immer, bitte in einer Buchhandlung bestellen und erwerben.
4 Kommentare zu »Ein richtig guter Tag«
4 Gedanken zu „Ein richtig guter Tag“
Selbstgemachter Obstsalat, Maracujaeis, ein Frühlingstag ohne Heuschnupfen, warme Füße, ein Eichhörnchen im Garten, ein Specht am Vogelfutterspender, Vögel füttern, die Spülmaschine, Vogelgezwitscher, eine schöne Aussicht, das Meer kurz vor einem Sturm, ein menschenleerer Strand, Tiramisu, Lieblingsnachbarn, die ganze Nacht hindurch lesen, warme Zucchinischokotörtchen mit Vanilleeis, Pusteblumen, Ranunkeln, Wolken gucken, Gewitter und Blitze beobachten, Hamburg, nach einer depressiven Episode das alles wieder neu entdecken!
Sonnenschein, das Lächeln meines Neffen wenn wir uns sehen, frische Blumen, ein Spaziergang im Sonnenuntergang, sich zum Sport überwunden zu haben, an Homeofficetagen länger schlafen, mein Haustier streicheln, die kurze Nachricht einer Freundin, dass sie nur mal hören wollte wie es mir geht; motivierende Bilder entdecken, die Vorfreude auf den Sommer, Dankbarkeit, sich selber mögen, neues gelernt zu haben; zu merken, dass es einfach gut läuft; niemals die Hoffnung zu verlieren
Sonne, die durch die Blätter eines Baumes funkelt, Sonnenuntergang am Strand, freundliches Lächeln von Fremden, ein Hab-Dich-lieb-Mama vom Kind, eine Umarmung eines lieben Menschen, Eiscreme, Gras unter den Füßen, Hängematte…
Leichter Wind und die Geräusche die in den Blättern der Bäume dadurch entstehen, das Meer, eine warme Dusche, Erdbeeren, Lachen bis der Bauch weh tut, ein unerwartetes, nettes Gespräch mit Fremden, dunkle Schokolade, eine Umarmung, sketchnotes, Pappmache, Backen, Blumen einsetzen.