Burnout erkennen und abwenden

Wenn das Berufsleben ins Privatleben diffundiert, nennt man das Fragmentierung. Es ist ein Burnout-Beschleuniger.

Burnout hat ja irgendwie jede*r und so ein bisschen Stress kann dir nichts anhaben? Nach deinem Projekt machst du etwas ruhiger oder gönnst dir einen Urlaub? So einfach ist das leider nicht. Ein echter Burnout ist gnadenlos, verändert dich und dein Leben langfristig und negativ und von den Spätfolgen hast du bis zu zehn Jahren was. Einen typischen Verlauf möchten wir dir nun beschreiben, damit du die Tragweite dieser Erkrankung erkennst und die Anzeichen bei dir wahrnehmen kannst.

Wenn aus einer Idee eine Depression wird

Am Anfang steht meist ein hoher Einsatz von Energie für ein bestimmtes, erstrebenswertes Ziel. Die große Motivation setzt enorme Kräfte frei, die eigenen Bedürfnisse werden dabei unwichtig. Diese Euphorie macht produktiv, du schaffst viel und gehst in deiner Arbeit förmlich auf. Vielleicht möchtest du auch einfach dir oder anderen etwas beweisen. Vorzeigbare Ziele, die von der Gesellschaft, deinem Netzwerk oder deinen Eltern mit Respekt belohnt werden, sind deswegen besonders verlockend. Ein erhöhter Einsatz, der Wille zur Perfektion und ein übermäßiger Anspruch an dich selbst führen dann dazu, dass du dir weniger Zeit für Entspannung gönnst. Du genießt ja den Fortschritt, feierst kleine Erfolge und denkst, dass schöne Arbeit keine echte Arbeit ist. Du denkst, unersetzbar für diese Aufgabe zu sein, und es fällt dir schwer, Dinge von anderen erledigen zu lassen. Am liebsten hast du alle Zügel jetzt selbst in der Hand. Regeneration und Schlaf treten zunehmend in den Hintergrund. Du bist fokussiert auf deinen Erfolg, Freude ziehst du hauptsächlich aus Ergebnissen deiner Arbeit.

Genussmittel wie Nikotin, Alkohol und Koffein werden eventuell vermehrt konsumiert. Nach dem Motto „Work hard, play hard“ intensiviert sich vielleicht auch deine knappe Freizeit. Nur wilde Partys oder Drogen bieten noch genügend Ausgleich zur harten Arbeit. Kleine Momente der Ruhe kannst du nicht genießen oder du lässt sie gar nicht erst zu. Dass du einfach mal früh Feierabend machst und spazieren gehst, ist undenkbar. Und falls du doch mal eine Auszeit hast, bist du unruhig oder fühlst dich schuldig. Warnzeichen des Körpers ignorierst du nun. Du arbeitest auch angeschlagen, eine Grippe ist in deinem Kopf maximal eine kleine Erkältung. Du wirst unzuverlässiger, vergisst Termine oder jonglierst sie hin und her. Müde, erkältet oder unkonzentriert zu sein wird der Normalzustand.

Du nimmst Treffen mit Freund*innen oder Freizeitaktivitäten eher als unliebsame Belastung wahr. Richtige Gespräche führst du am liebsten über deine Arbeit oder lenkst das Thema bewusst oder unbewusst auf sie. Du identifizierst dich nun vollkommen mit deinem Projekt, alte Interessen werden unwichtig. Private Verabredungen hältst du bewusst vage.

Entspannungstechniken, die nur zur Leistungssteigerung eingesetzt werden, nennt man Manager-Mindfulness.

Alle Genugtuung kommt schließlich aus der Erledigung deiner To-dos. Setzt du noch Entspannungstechniken ein, tust du dies nur noch, um leistungsfähiger zu werden oder als sogenannte Challenge, um dir oder anderen etwas zu beweisen. Hoffnungslosigkeit kommt auf. Du hast das Gefühl, dass du deiner Arbeit nicht gerecht wirst, du stehst ständig unter Strom. Kleine Herausforderungen erzeugen Panik bei dir. Kleine Rückschläge lassen dich verzweifeln, du triffst nun häufiger Fehlentscheidungen. Zuletzt beginnt eine Verhaltensänderung. Du wirst in deinem Denken unflexibel und unkreativ. Mit Kritik kannst du nicht mehr umgehen und reagierst aggressiv. Du ziehst dich weiter zurück und verlierst schließlich das Gefühl für deine eigene Persönlichkeit.

Eine pragmatische Sichtweise auf Stress

Jeder Burnout ist anders, nur weil nicht alle Faktoren auf dich zutreffen, bedeutet das nicht, dass du nicht betroffen bist. Allgemein kann man sagen, dass theoretisch jede*r erkranken kann. Unsere Erfahrung zeigt, dass gerade die Menschen, die sich unangreifbar fühlen, oft am härtesten betroffen sind. Denn sie achten viel zu wenig auf die ersten Anzeichen. Nun ist es nicht sinnvoll, in Panik zu verfallen und große Projekte oder stressige Aufgaben aus Angst vor Erschöpfung gar nicht erst anzugehen. Ziele und Herausforderungen können auch einen sehr positiven Beitrag zu deinem Leben leisten. Wichtig ist, dass du bei diesem Prozess auf dich achtgibst und lernst, Signale zu erkennen. Für uns ist Selbsterkenntnis deswegen der wichtigste und erste Schritt, eine Erschöpfung abzuwenden.

Maßnahmen zur Stressvermeidung, zur Stressreduktion und klassische Selbstfürsorge sind dabei deine größten Freund*innen. Du musst genau herausfinden, was für den Stress in deinem Leben verantwortlich ist, diese Faktoren weitestgehend reduzieren und nach stressigen Phasen Ausgleich schaffen. Das klingt vielleicht zu simpel, aber man kann Stress tatsächlich sehr pragmatisch betrachten: Stell dir vor, deine mentale Gesundheit ist ein schönes, weiches, sauberes, warmes Handtuch, das du den ganzen Tag mit dir herumträgst. Es kann dich wärmen, trocknen und Schutz spenden. Jede Sekunde Stress ist ein Regentropfen auf dein Handtuch. Ein paar Tropfen machen nichts aus, aber nach einer Weile solltest du dein Handtuch kurz in die Sonne zum Trocknen legen. Tust du das nicht, wird es über den Tag hinweg erst klamm und dann feucht und immer schwerer.

Irgendwann ist es so nass, dass du es auswringen musst, und so richtig trocken wird es bis zum nächsten Morgen auch nicht. Du startest den Tag dann mit einem klammen Handtuch. Es wird schneller nass und schwer und du musst immer mehr Energie darauf verwenden, es wieder ganz trocken, warm und weich zu bekommen. Besser wäre es also, es nach jedem Schauer kurz zu trocknen und es abends eine Stunde auf die Heizung zu legen.

Der Regen steht in diesem Beispiel für die Stresshormone Cortisol und Adrenalin. Diese Hormone bauen sich im Tagesverlauf auf, das ist eine ganz natürliche Reaktion auf externe Reize. Das haben wir noch von unseren Vorfahren. In Gefahrensituationen mussten wir klar denken und schnell reagieren, um entweder zu flüchten oder zu kämpfen. Beides sind sehr bewegungsintensive Handlungen, und so ist es kein Zufall, dass Bewegung eins der besten Mittel ist, um dem Körper zu signalisieren, dass man die nötige Aktion durchgeführt hat und wieder entspannen kann. Wenn unsere Körper bewegt werden, bauen wir Cortisol und Adrenalin wieder ab, ihre Aufgabe ist mit der Bewegung ja erfüllt. Nun rennen wir bei einer drohenden Deadline aber nicht aus dem Büro und prügeln uns nicht mit unseren Vorgesetzten, wenn sie uns neue Aufgaben zuteilen, obwohl das rein physisch sinnvolle Reaktionen wären. Die Stresshormone bleiben also erst mal im Blut. Und jeder neue Stressfaktor erhöht die Werte oder hält sie zumindest aufrecht.

Was kann man nun also tun? Um bei der Handtuch-Regen-Metapher zu bleiben: Am sinnvollsten wäre es natürlich, den Regen zu vermeiden, also potenziellen Stresssituationen möglichst aus dem Weg zu gehen. Das klingt simpel, ist deswegen aber weder weniger wahr. Wir nehmen den Faktor Stress viel zu selten in unsere Entscheidungen auf. Dabei wäre es so einfach, sich vor jedem Vorhaben kurz zu fragen, wie viel Anspannung es auslösen wird. Das sollte natürlich nicht der einzige Faktor sein, wenn wir Pläne schmieden. Dann würden wir nur noch zu Hause sitzen und gar nichts mehr unternehmen. Aber generell ist präventive Stressvermeidung immer einfacher als kurativer Stressabbau.

Gab es einen Moment der Anspannung, also die kleinen Regentropfen aufs Handtuch, wäre es wie gesagt das Einfachste, es jetzt kurz in die Sonne zu legen, sprich: Nach kurzen Stressmomenten sollte man möglichst sofort etwas zum Entspannen machen. Dass Kampf oder Flucht nicht praktikabel sind, ist gar nicht so schlimm, jede Art von Bewegung hat denselben Effekt. Einmal um den Block gehen, ein bisschen Yoga, ein paar Liegestütze: Gegen Mikrostress hilft Mikrobewegung. Aber auch klassische Entspannungsübungen wie das tiefe Durchatmen oder Meditation sind gut geeignet, um den Cortisollevel wieder zu reduzieren.

Schwieriger wird es, wenn dein Handtuch richtig feucht ist, da reicht dann ein bisschen Sonne nicht aus. Soll heißen: Wenn du viel Stress hast, musst du auch mehr Energie in Stressabbau investieren. An anstrengenden Tagen abends ein wenig tief ein- und ausatmen reicht dann nicht mehr. Finde deswegen Aktivitäten, die dich wirklich entspannen und bei denen du merkst, dass du danach völlig in dir ruhst. Du musst nicht jedes Wochenende ins Meditationskloster. Hobbys oder das Treffen mit Freund*innen können ausreichen, um dich komplett zu erden.

Stoizismus vs. Stress

Und neben der Vermeidung von Stresssituationen und dem Abbauen von Stress gibt es auch noch eine dritte Möglichkeit, dein Anspannungslevel konstant niedrig zu halten: die Stoische Stressreduktion. Dabei geht es verkürzt darum, negative Begebenheiten gar nicht erst als solche wahrzunehmen. Sie basiert auf der Annahme, dass Menschen selber steuern können, wie angespannt sie auf Situationen reagieren. Dies passiert nicht durch eine Impulskontrolle, denn unseren ersten Impuls auf etwas können wir kaum kontrollieren, aber alles danach.

Ein achtsames Erfolgsjournal: Ein gutes Projekt.

Stehst du im Stau und merkst, wie genervt du davon bist, versuchst du nicht in diesem Gefühl der Frustration aufzugehen, sondern relativierst vor dir selbst mit logischen Argumenten, warum schlechte Laune jetzt nicht angebracht ist. Stoizismus geht davon aus, dass wir zwar die Dinge, die uns passieren, nicht beeinflussen können, aber unsere Reaktion darauf. Man sagt, das Leben ist 10 %, was dir passiert, und 90 %, wie du damit umgehst, und das ist eine der Grundlehren der Stoiker*innen. Ihnen wird deswegen oft vorgeworfen, zu passiv zu sein und jedes Unheil ohne Beschwerde zu ertragen, aber genau das Gegenteil ist der Fall. Nur wenn wir die Kontrolle über allzu einnehmende schädliche Emotionen gewinnen, können wir rational und nach unseren Werten Gutes tun und Unrecht verhindern. Wer im Stau steht und sich aufregt, rumschreit und hupt, gibt sich seinen Emotionen hin, ohne damit etwas zu bewirken. Wer für sich hingegen logisch rationalisiert, dass sich der Stau nicht ändern lässt, dass Wut jetzt nicht hilft und sogar schädlich ist, kann schneller und besser Entscheidungen fällen, wie der Suche nach der nächsten Ausfahrt. Man gibt vielen Problemen erst Gewicht, indem man sie beklagt, und dann leidet man zweifach: durch den Stau und durch die eigene Wut.

Gerade in achtsamer Projektarbeit solltest du also aufmerksam in dich horchen, wie viel emotionalen Raum du kleinen Rückschlägen gibst. Passiert etwas vermeintlich Schlechtes, ist es eben schon passiert. Du wirst es nicht rückgängig machen können.
Und die meisten Probleme in deinem Leben hat niemand verursacht, sie ergeben sich einfach durch unglückliche Umstände. Wut würde also rein gar nichts ändern. Wut ist, wenn überhaupt, nur eine sinnvolle Reaktion, wenn sie sich gegen Personen wendet, die eindeutig die Ursache für dein Problem sind und dies aus Bösartigkeit verursacht haben. Mit deutlicher und lauter Kritik reduzierst du dann die Wahrscheinlichkeit, dass es noch mal passiert. Das schließt eine achtsame und stoische Grundhaltung nicht aus. Aber das ist wirklich seltener der Fall, als man denkt.

Diese Herangehensweise muss man üben, aber es kann ein wichtiger Baustein deiner aktiven Stressreaktion werden. Kombiniert mit präventiver Stressvermeidung und reaktivem Stressabbau kannst du dich so etwas mehr vor emotionaler Erschöpfung, also Burnout, schützen.


Dieser Artikel stammt aus unserem achtsamen Erfolgsjournal Ein gutes Projekt. Setze große Projekte stressfrei in 100 Tagen um.

Kategorien Achtsamkeit Mentale Gesundheit Psychologie

über

Jan Lenarz ist Gründer und Geschäftsführer von Ein guter Plan. Der mehrfache SPIEGEL-Bestsellerautor engagiert sich politisch für mentale Gesundheit und schreibt über Achtsamkeit, Depression und Burnout. Er engagiert sich ehrenamtlich als Rettungssanitäter und Erste-Hilfe-Ausbilder. Bei den Einsätzen im Berliner Stadtgebiet wird seine hart antrainierte Gelassenheit regelmäßig auf die Probe gestellt. Website Instagram

12 comments on »Burnout erkennen und abwenden«

  1. Patrick Deutsch

    Hi Jan,

    Ist es möglich, die Liste als PDF oder so zur Verfügung zu stellen? Ich bin jetzt auf Ein guter Plan Pro umgestiegen und vermisse diesen Teil besonders. Vieles anderes habe ich inzwischen in meinen Alltag integriert, nachdem ich zwei Jahre lang mit Ein guter Plan geübt habe.
    Es ist wirklich ein ganz toller Leitfaden, mit seinem Durcheinander im Kopf und im Herzen klarzukommen. Danke dir und deinen Mitstreiter*Innen.

  2. Danke, aus diesem Text konnte ich viel mitnehmen. Deine Vergleiche und Ratschläge sind sehr griffig. Einzig der Textfluss ist leider durch Gendersternchen zertört.

  3. Hallo, ich nutze „ein guter Plan“ täglich und bin jetzt bei dem Thema Burnout Reflexion angekommen. Wie bewerte ich die Faktoren? Heißt 1 (gar nicht) = trifft gar nicht zu und 10 (sehr stark) = trifft voll zu?

    • mm
      AutorJan Lenarz

      Genau. Aus dem Anleitungstext über der Technik: „Bewerte dazu folgende Faktoren von 1 (gar nicht) bis 10 (sehr stark).“

  4. Stephani

    Nachdem ich mir vor zwei Monaten euer Buch kaufte und erinnerte ich mich jetzt an diese Seite.
    Die Beschreibung des Verlaufes trifft 1:1 auf mich zu. Jetzt bin ich am Ende, schleppe mich die letzten 7 Wochen bis zum großen Ziel.. Der gute Plan hilft mir, jeden Tag zurückzublicken, wofür ich dankbar bin.

  5. Annette Wagner

    Danke für eure Arbeit. Ich habe ein guter Plan von meiner besten Freundin zu Weihnachten bekommen und es hat mir schon jetzt sehr geholfen.
    Als ich diesen Artikel hier gelesen habe musste ich weinen weil alles so wahr ist. Ihr macht echt was gutes und das Bewusstsein der Menschheit kann somit ja nur besser werden 🙂

  6. Ein ganz ganz wunderbarer Artikel!!!

  7. Katherine Fischer

    Das ist sehr wichtig selbstbewusst zu sein und auf solche Anzeichen zu achten. Bei der Arbeit haben wir vor kurzem über Burn-out gesprochen, also ich möchte mehr darüber lernen. Dieser Beitrag war sehr hilfreich und informative. Vielen Dank.

  8. Joachim Hussing

    Mein Onkel hat mich letztens zum Thema Entspannung für den Körper etwas gefragt, aber ich wusste darüber nichts. Er hat in den letzten Wochen Ausbrennen erlebt, und das schadet seiner Karriere. Deswegen bin ich echt froh, dass ich diesen Beitrag gefunden habe. Nächstes Mal, wenn ich ihn sehe, kann ich ihm erzählen, was ich hier gelesen habe.

  9. Vielen Dank für diesen Beitrag und die coole Metapher des Handtuchs, die macht das ganze noch greifbare.

  10. Danke für Deine coole Weise diese Wichtige Arbeit zu machen und der Gesellschaft auf diese subtile und unglaublich wichtige Art zu helfen!

  11. Vielen Dank für diesen kurzweiligen, informativen und hilfreichen Artikel!

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