Die Sache mit den Bedürfnissen: Worum es bei Selfcare eigentlich geht

Ausreichend zu trinken ist eine Form von Selbstfürsorge
Zwei Liter Selbstfürsorge pro Tag

Selbstfürsorge ist ein Wort, bei dem wahrscheinlich nicht alle sofort die gleichen Vorstellungen haben, welchen Tätigkeiten man eigentlich genau nachgeht, wenn man sie betreibt. Da es sich dabei allerdings um eine Art Schlüsselkompetenz für ein gutes Leben handelt, lohnt es sich, die Sache mal etwas genauer zu betrachten. Der Begriff ‚Selbstfürsorge‘ ist ziemlich deutlich und konkret – man geht fürsorglich mit sich selbst um, wir sorgen für uns selbst, wir kümmern uns um uns selbst. Dazu gehören allerdings auch viele Aufgaben, die bei vielen eher unbeliebt sind oder langweilig gefunden werden. Je früher es uns jedoch gelingt, diesen Aufgaben eine positive Reputation zu geben, desto besser.

Was Selfcare wirklich ist

In Wirklichkeit ist Selbstfürsorge nicht sehr viel mehr als erwachsen sein, was wahrlich nicht so verlockend klingt wie Selfcare. Das, was die Menschen, die uns aufgezogen haben von sehr gut bis weniger gut gemacht und uns beizubringen versucht haben, übernehmen wir ab einem gewissen Zeitpunkt selbst, wenn alles gut läuft. Dieser Zeitpunkt ist allerdings eher ein manchmal auch sehr langer Zeitraum. Die ersten erwachsenen Jahre verlaufen bei vielen noch recht holprig, was die Selbstfürsorge angeht. Menschen zwischen 20 und 30 sind meistens nicht berühmt dafür, genug zu schlafen und sich gut zu ernähren.

Selbstfürsorge bedeutet, sich selbstverantwortlich darum zu kümmern, die eigenen Bedürfnisse zu versorgen. Und wir haben eine Menge Bedürfnisse, die sich außerdem nicht immer ganz klar von Wünschen abgrenzen lassen, ohne deren Erfüllung wir noch immer ziemlich gut zurechtkommen würden. Kann man grundlegende Bedürfnisse und reine Wünsche mit etwas Übung erstmal besser voneinander unterscheiden, kann man sie auch einfacher zuordnen und leichter entscheiden, was wir gerade wirklich am dringendsten brauchen, damit es uns gut geht.

Grundwissen Bedürfnisse

Manche haben sicher noch die Kopien der Bedürfnispyramide im Hinterkopf, die vermutlich einige von uns in der Schule eines Tages unter die Nase geschoben bekommen haben und uns darüber aufklären sollten, was wir in welcher Reihenfolge benötigen im Leben, der Meinung eines gewissen Herrn A. Maslow nach. Aber es haben sich auch noch ein paar andere Männer Gedanken darüber gemacht, z.B. Herr T.B. Brazelton und Herr M.B. Rosenberg. Fällt euch auf, was mir auffällt? Richtig, es wäre ein Hit, mal von einer Frau was zum Thema Bedürfnisse zu hören. Oder von mehreren. So generell.

Mit der Achtsamkeitsampel aus unseren Planern (z.B. Ein guter Plan) wird es einfacher, täglich auf die eigenen Bedürfnisse zu achten und Self-Care zu betreiben.
Achtsamkeitsampel statt Bedürfnispyramide

Unabhängig von diesem Missstand kann man sich die Ergebnisse dieser Leute aber ruhig mal als Inspiration nehmen und sich seine eigenen Gedanken dazu machen. Schließlich haben die auch nur innerhalb jeweiliger Zeiten und Kulturen gedacht.

Selbstfürsorge bedeutet, sich selbstverantwortlich darum zu kümmern, die eigenen Bedürfnisse zu versorgen.

Unsere Bedürfnisse sind, einfach ausgedrückt, materiell und immateriell, oder physisch und psychologisch. Die physiologischen müssen häufiger und mit zwingender Regelmäßigkeit erfüllt werden. Die psychologischen lassen uns etwas mehr Spielraum, sind aber nicht weniger existenziell. Beispielsweise können wir innerhalb kürzester Zeit nicht mehr ohne Wasser leben, kommen aber mal eine Weile und unterschiedlich lange ohne soziale Einbindung zurecht. Unsere Bedürfnisse folgen außerdem einer Hierarchie:

Bevor die grundlegenden Bedürfnisse nicht erfüllt sind, bringt es nicht sehr viel, nach darauf aufbauenden Bedürfnisbefriedigungen zu streben oder sich Wünsche zu erfüllen, die nur als grundlegendes Bedürfnis verkleidet um unsere Aufmerksamkeit buhlen. Wir versuchen trotzdem häufiger mal, diese Hierarchie zu ignorieren, Hierarchien sind gerade nicht in Mode. Das interessiert unsere Bedürfnisse aber nicht.

Die Aufgaben, die unsere Existenz garantieren, fallen schnell mal etwas ins Hintertreffen – oder ist es nicht häufiger mal so, dass wir zu trinken oder zu essen „vergessen“, die administrativen Aspekte unserer Leben möglichst lang hinausschieben, uns die Arbeit auf die Nerven fällt, ebenso wie Tätigkeiten wie Putzen, also die Pflege und Instandhaltung unserer Umgebung, auffällig unbeliebt, obwohl Ordnung und Hygiene ebenso existenziell wichtig für uns sind.

Exkurs: Fürsorge ist Frauensache

Aus Gründen, über die sich vielleicht nicht nur mutmaßen lässt, haben bestimmte Tätigkeiten in den Augen vieler Menschen kein gutes Image und werden oft als etwas angesehen, das „nebenbei“ geschieht oder am besten von selbst. Jedenfalls ist es eher außergewöhnlich, dass ihnen der Stellenwert und die Zeit eingeräumt wird, die ihnen eigentlich gebühren. Und Überraschung: Es sind überwiegend Tätigkeiten, die bislang Frauen und Müttern zugeordnet und nicht mit dem Wert bedacht wurden und werden, den sie verdienen. Die Versorgung des Körpers mit Nahrung und Flüssigkeit, die Beschaffung dieser und die Zubereitung. Die Pflege von Körpern und Räumen. Administratives und die Organisation des Alltags. Aber auch die Beziehungspflege und soziale Aufgaben.

Klingt komisch, aber: Wäsche waschen, putzen oder kochen sind auch Formen von Self-Care
So kann Selbstfürsorge auch aussehen

All diese Aufgaben, die dem Erhalt dienen, u.a. kochen, putzen, aufräumen, einkaufen usw., sollen am besten einfach immer schon erledigt sein. Sie haben ein Imageproblem, wie vieles andere, das eigentlich super und wichtig ist. Dies nur am Rande, aber vielleicht lohnt sich der Gedanke mal, warum ausgerechnet Aufgaben, die meistens von Frauen gemacht wurden und werden, so unbeliebt sind und wenig bis gar keine Wertschätzung erfahren.

Gut für mich und den Rest der Welt

Je besser wir die Schlüsselkompetenz Selbstfürsorge meistern, desto mehr Probleme sparen wir uns. Und je höher wir auf der Skala der Selbstfürsorge rangieren, je besser wir unsere Bedürfnisse versorgen, desto besser geht es uns UND desto mehr haben wir auch wiederum Anderen und der Welt zu geben. Vielleicht ist euch auch schon einmal aufgefallen, dass ihr den Kopf freier habt für die Belange anderer Menschen und der Welt, wenn ihr euch gut versorgt fühlt. Es haben also alle etwas davon, wenn du dich gut um dich selbst kümmerst. Macht man sich dies ein für allemal klar, lässt sich auch der Zweifel, ob das nicht egoistisch sei, schnell und zuverlässig ausräumen. Wenn es dir gut geht, hast du einfach mehr zu geben. Und das ist gut, unverrückbar, einzig und allein gut.

First things first

Manchmal kommen wir etwas durcheinander mit unseren Bedürfnissen und machen den zweiten Schritt vor dem ersten. Vielleicht schlafen wir ständig zu wenig, ernähren uns streckenweise ziemlich notdürftig und müssen uns ständig daran erinnern, genug Wasser zu trinken. Trotzdem greifen wir nach den Selbstverwirklichungssternchen, die auf andere Weise leichter zu erreichen wären: Wir können die Treppe nehmen, auf der wir die erste Stufe nicht überspringen, sondern mit schlafen, essen und trinken anfangen. Im weiteren Verlauf können wir uns um Mittel für Schutz, Wärme und Hygiene kümmern. Und am besten nehmen wir die Treppe zusammen mit anderen Menschen, weil Verbundenheit, Resonanz und Bedeutung auf jeder Stufe wichtig ist.

Selbstfürsorge heißt nicht immer Badewanne und Gesichtsmaske, kann es aber.
Gesichtsmasken sind natürlich trotzdem okay

Bevor gewachsen werden kann, müssen zuerst die Defizite behoben und die Grundlagen zum Wachsen geschaffen werden. Und zwar immer wieder. Alles, was lange da ist und sich wiederholt, droht langweilig zu werden, aber eine gelegentliche Portion Dankbarkeit und Bewusstwerdung all dieser vermeintlichen Selbstverständlichkeiten hilft dagegen.

Selbstfürsorge Take-away

1. Sich Mitgefühl schenken

Erwachsen werden und erfolgreich Selbstfürsorge betreiben lernen dauert deutlich länger als 18 Jahre und ist in vielen Fällen kein sehr gradliniger Weg.

2. Die Tatsachen akzeptieren

Grundlagen-Bedürfnisse nehmen in Wirklichkeit sehr viel Zeit ein und geschehen weder von selbst noch nebenbei. Das Verhältnis von vermeintlich langweiligen Aufgaben und Müßiggang war noch nie so angelegt, dass Müßiggang einen größeren Anteil hatte, auch wenn sich die Gesellschaft, in der wir uns bewegen, auf einem sehr hohen Lebensstandard befindet.

3. Ausreichend Zeit einplanen

Nimm dir genug Zeit für die erhaltenden Aufgaben, anstatt sie nebenbei und widerwillig zu betreiben. Teil dir explizit Zeit für z.B. Essen und Kochen ein und all die anderen Basics, priorisiere sie, auch wenn die Aufgaben Einkaufen, Aufräumen und Putzen heißen. Wenn du dir genug Zeit dafür nimmst, wächst die Aussicht darauf, dass es dich nicht so stresst und dementsprechend auch mehr Spaß macht. Mach dir klar, wie bedeutsam diese Basics für dein Wohlbefinden sind und dass sie vermutlich nachhaltiger sind als eine Gesichtsmaske.

4. Langfristig Denken

Es kann sein, dass das Bedürfnis, sich irgendwo hinzulegen und irgendeine Serie zu gucken sehr viel dringlicher erscheint als z.B. sich etwas zu kochen. Selbstfürsorge bedeutet in den meisten Fällen allerdings, uns für die Sache zu entscheiden, die uns langfristig guttut, anstatt uns kurzfristige Wünsche zu erfüllen.

5. Ab und zu vernünftig sein

Wir müssen nicht immer vernünftig sein, aber brauchen auch keine Sorge zu haben, dass wir das zu oft sind. Das regelt sich ganz von allein. Es spricht also nichts dagegen, so oft wie möglich zu versuchen, die richtige Entscheidung zu treffen.

6. Ins Machen kommen

Uns ein gutes Essen zu kochen, die Post zu erledigen, ausgiebig zu duschen oder die Wohnung in Ordnung zu bringen – wir wissen alle, dass es uns richtig gut geht, wenn wir diese Dinge tun und alles andere dann auch besser funktioniert und mehr Spaß macht. Weniger denken, rumschieben und mit sich selbst verhandeln, mehr machen ist also die Devise. Denn die Basics sind der Kern der Selbstfürsorge, aus dem alles andere wächst.

Zusammen geht Selbstfürsorge irgendwie leichter, deshalb her mit euren Ideen und Meinungen: Was machst du, um Selfcare zu betreiben und dich gut um dich zu kümmern?

5 comments on »Die Sache mit den Bedürfnissen: Worum es bei Selfcare eigentlich geht«

  1. So großartig, endlich mal fundierte Infos und Tipps zum Thema und nicht der 100ste Hinweis darauf sich in die Badewanne zu legen, wenn man das Bedürfnis nach Selbstfürsorge verspürt…wenn ich recht drüber nachdenke, fühl mich tatsächlich behaglicher und freier, wenn ich ebendiese Wanne putze (bzw. geputzt habe 😄). Vielen Dank für diesen großartigen Beitrag und generell euren tollen Blog!

  2. Sehr guter Bericht!

    Ich bin ein riesen Fan von Selfcare. Mein Technik ist relativ einfach. Ich gehe früh ins Bett und für einen guten Schlaf lass ich ab 18.00 Uhr alles was mit Bildschirmen zu tun hat denn das Licht lässt mich trotz Blaufilter schlechter schlafen. Außerdem versuche ich ab 18.00 Uhr nichts mehr zu Essen. Wenn mir meine Kinder noch Zeit lassen lese ich ein wenig und gehe um 22.00 Uhr ins Bett. Dann bin ich schon um 5 oder 6 Uhr top fit. Hab genug Zeit meine Morgenroutine zu machen bovor es an die Arbeit geht und bin den ganzen Tag top fit. 🙂 Und ich bin glücklicher 🙂

  3. Ich bedanke mich auch für diesen Input und die liebevolle Erinnerung daran, was wir eigentlich priorisieren sollten und was im Sinne der Wünscheliste auch mal kürzer treten darf!

  4. Danke🤩sehr guter Input. Erwachsen und priorisieren.

  5. Vanessa

    Super Artikel, der zum Nachdenken anregt . Ich schmeiße den Haushalt auch oft nebenbei und vernachlässige oft Pflichtaufgaben wie Putzen etc., die mir aber eigentlich ein gutes Umfeld schaffen würden. Ich habe mir vorgenommen mich mehr um meine Selbstfürsorge statt die To-Do Liste auf der Arbeit zu kümmern. Danke für die Anregung.

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