Krieg: Über den Umgang mit dem Grauen

Wie kann man den Wahnsinn eines Angriffskriegs fassen und ist es überhaupt richtig, einen möglichst gefassten Umgang mit dem Schrecken anzustreben? Der Versuch einer Einordnung.

Wenn der Wunsch nach Frieden nicht reicht

Nachdem der erste Schock angesichts der Ereignisse heute Morgen nicht mehr jeden Gedanken lähmte, war die Aufregung im Team groß. Wie reagiert man auf so etwas? Seit fast einem halben Jahr bereiten wir uns auf den heutigen Tag vor, weil heute eigentlich ein besonderes Ereignis für unseren kleinen Verlag anstand.

Schnell war klar: das Posting, die Storys, der Blogbeitrag, der seit drei Monaten geplante Newsletter, das alles wird gestoppt. Aber was macht man stattdessen? Einfach alles ein paar Tage verschieben? Solidaritätsbekundungen? Gar nichts? 

Und dann wurde uns klar: Man kann als Firma auf Katastrophen und Krieg kaum angemessen reagieren. Heute werden sich sehr viele Menschen fragen, was eine richtige Kommunikation ist. Aber es gibt Ereignisse, die sind so erschreckend, da zerbricht die Skala von richtiger und falscher Kommunikation etwas, weil Sprachlosigkeit wie die einzig angebrachte Reaktion wirkt.

Aber in unserem Verlag waren schon immer gut darin, auch in schwierigen Situationen die richtigen Worte zu finden, ein paar Tipps über den psychologischen Umgang mit Krisen zu geben und an Haltung und Menschlichkeit zu appellieren. Das fällt heute zwar schwerer denn je. Aber das Schreiben ist in diesem Moment unsere einzige Hilfe gegen die Hilflosigkeit.

Kein Frieden mit dem Krieg

Klar ist: Es kann und darf keine Checklisten für den richtigen Umgang mit Kriegen geben, die das Ziel haben, Frieden mit dem Thema zu machen. Darum geht es hier nicht. Folgende Leitlinien sollen Menschen, die sich heute so fühlen, als sei ihnen der Boden unter den Füßen weggezogen worden, einen ersten Haltegriff bieten.

Nüchterne Gefahrenanalyse

Schätze zuerst deine persönliche Gefahr möglichst nüchtern ein. Es ist eine natürliche Reaktion, auch in geopolitischen Konflikten kurz an sich selbst zu denken, Stichwort Selbsterhaltung. Wenn du diesen Text liest, bist du wahrscheinlich nicht direkt von Kampfhandlungen betroffen. Das mag sehr egoistisch klingen, aber für viele Menschen sind Nachrichten, wie die heutigen, mit einer unmittelbaren Angstreaktion verbunden, die weitere klare Gedanken verhindern. Da hilft es schon, sich einmal bewusst zu sagen, dass du jetzt nicht um dein Leben rennen musst. Ja, andere müssen das, aber hier reden wir einmal über dich. Das ist erlaubt, wenn das nicht der einzige Fokus bleibt.

Überforderung akzeptieren

Unsicherheit ist eine normale Reaktion auf massive Krisen

Die Situation ist extrem komplex, nicht vorhersagbar und sehr dynamisch. Menschen streben aber eine möglichst eindeutige Einschätzung von Geschehnissen an. Das ist in Fällen wie Katastrophen und Krieg kaum möglich. Überforderung ist das Ergebnis. Quäle dich nicht mit dem Versuch, die Sache zu komplett erfassen zu wollen. Dafür passiert zu viel zu schnell. Akzeptiere die Unsicherheit und Überforderung. Das ist frustrierend, aber noch mal: Es geht bei diesen Tipps nicht darum, dass du dich möglichst gut in deiner Position fühlst. Schmerz ist eine angebrachte Reaktion. Wir müssen aufgebracht bleiben.

Ohnmacht verlassen

Versuche, aktiv zu werden. Ohnmacht ist eine natürliche Reaktion, aber kein nachhaltiger Zustand. Viel können wir gerade nicht tun, außer uns zu informieren, Solidarität zu bekunden, zu spenden, uns mit anderen auszutauschen, zu demonstrieren und die Regierung zu harten Sanktionen aufzufordern. Aber dann mach doch genau das. Jede noch so kleine Handlung, die dich aus der Lähmung bringt, kann dir helfen. Unterhalte dich mit anderen. Informiere dich. Geh auf die Straße. Teile Petitionen. Spende Geld oder Engagement an etablierte Hilfsorganisationen. Und verstehe, dass meist nur Ersteres gewünscht ist. Mit Geld können bewährte Hilfsprozesse von ausgebildeten Fachkräften finanziert werden, akzeptiere das. Und akzeptiere, dass du darüber hinaus wenig Möglichkeiten hast, etwas zu bewirken.

Zuhören

Bist du aktuell eher gelassen, weil du auch extreme Ereignisse sehr gefasst aufnimmst, sei für dein soziales Netz da. Hör den Menschen zu, die sich überfordert fühlen. Übe dich in achtsamer Kommunikation und vermeide Plattitüden wie „So ist es eben“, „Menschen sind halt doof“, „Kriege gibt es ja immer“, „Das war doch zu erwarten.“

Sachlich informieren

Informiere dich sachlich. Die kommenden Wochen werden von Horrormeldungen geprägt sein. Es ist völlig o. k., sich bewusst vor schrecklichen Bildern und reißerischer Berichterstattung zu schützen. Eine gute Möglichkeit ist beispielsweise der Teletext der tagesschau. So bleibst du informiert, ohne deine Emotionen durch martialische Bilder manipulieren zu lassen. 

Der Krieg im Liveticker und als Teletext

Aber versuche auch, dich zumindest rudimentär zu informieren. Nicht mit Doom Scrolling, also der stumpfen Aufnahme möglichst vieler furchtbarer Nachrichten. Aber wir dürfen die Augen auch nicht verschließen. Das Unverständnis, warum sich nicht alle Menschen einfach lieb haben können, ersetzt einfach keine Auseinandersetzung mit der Thematik.

Besonders fraglich ist die Informationsbeschaffung über die sozialen Medien. Beiträge sind dort üblicherweise emotional eingefärbt, da sie eher ein Gefühl der Verfasser*innen transportieren wollen. Influencer*innen pointieren die schrecklichen Ereignisse dazu noch, um eine hohe Interaktionsrate zu erzeugen. Dies geschieht oft gar nicht aus Berechnung. Aber wer immer wieder auf Social Media postet, verinnerlicht diese Spielregeln unterbewusst.

Selbstmitleid vermeiden

Verstehe, dass es nicht um dich geht. Auch wenn ich sicher bin, dass Engagement nur möglich ist, wenn wir uns auch immer wieder um uns selbst kümmern, sollte deine eigene Befindlichkeit jetzt nicht ausschließlich der Fokus sein. Verlier dich nicht im Selbstmitleid, weil dich das Thema so mitnimmt. Verstehe, dass Betroffenheit nicht deine Aufgabe ist. Mangels Handlungsmöglichkeiten fühlt sich das emotionale Mitleiden oft richtig an. Aber sieh es nicht als Pflicht an, dich möglichst schrecklich zu fühlen. Unsere Solidarität, Empathie und Menschlichkeit sind standhafter, wenn wir uns nicht komplett vom Leid einnehmen lassen.


Es ist nicht viel. Diese nahezu völlige Abstinenz von Handlungsmöglichkeiten kann verzweifeln lassen. Aber vielleicht hilft es zumindest, zu wissen, dass man mit der aktuellen Überforderung nicht allein ist.

Spenden

Folgende Hilfsorganisationen sammeln aktuell Spenden für humanitäre Hilfe in der Ukraine:

Deutsches Rotes Kreuz
Ärzte ohne Grenzen
Caritas
Unicef
SOS Kinderdörfer
GAiN Germany

Kategorien Mentale Gesundheit Psychologie Selbsthilfe

über

Jan Lenarz ist Gründer und Geschäftsführer von Ein guter Plan. Er engagiert sich politisch für mentale Gesundheit und schreibt über Achtsamkeit, Depression und Burnout. Entspannen kann er trotz aller Expertise beim Thema Stressvermeidung am besten im Fitnessstudio und keiner weiß, was da schiefgelaufen ist. Jan arbeitet ehrenamtlich als Sanitäter und testet seine Gelassenheit z. B. im Rettungswagen auf den Straßen von Berlin.WebsiteInstagram

25 comments on „Krieg: Über den Umgang mit dem Grauen“

  1. Danke für das Abholen an einem Punkt, an dem genau das, was Du beschrieben hast, auch durch meinen Kopf geht. Es hilft alles etwas besser zu sortieren! Vielen Dank!!

  2. Tabea Niederhauser

    Herzlichen Dank!
    Ich fühle mich verstanden, deine Worte helfen mir heute, jetzt, den Tag zu leben.
    Im Moment brauche ich genau das.
    Du hast das, was du gut kannst- schreiben- genutzt, um zu helfen.

  3. Danke für diesen hochaktuellen Artikel, der sehr hilfreich ist. Der Verweis auf die Spendenmöglichkeiten ist großartig, habe ich gleich umgesetzt und so wenigstens ein bisschen das Gefühl der Machtlosigkeit lindern können.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert