Leidensdruck: Wie glücklich musst du sein?

So sieht Leidensdruck tatsächlich selten aus. Meist ist er still im Hintergrund, wie ein Schleier aus diffusem Schmerz

Ab wann ist Unglück eigentlich schädlich? Das ist gar nicht so einfach zu beantworten und kommt auf viele Faktoren und Charaktereigenschaften an. Man kann ein gesundes, erfülltes Leben führen, auch wenn man generell eher unzufrieden ist. Für viele Menschen ist es überhaupt nicht erstrebenswert, immer nur glücklich zu sein. Viele Menschen ziehen aus einer pessimistischen Lebenseinstellung viel Kreativität und Inspiration. Die vielen Probleme dieser Erde lassen vielleicht auch gar nicht zu, dass man immer glücklich ist. Schmerz gehört zum Leben und auch eher negative Emotionen wie Wut und Angst haben ihren Platz.

Ausschlaggebend ist deswegen der persönliche Leidensdruck: Das individuelle und subjektive Gefühl, Leid zu verspüren. Dieser Schmerz kann langfristig Depressionen verursachen, Angstgefühle verstärken und andere mentale Erkrankungen verursachen. Neben der individuell wahrgenommene Stärke des eigenen Leids ist auch die Dauer des Leidensdrucks ausschlaggebend. Ein paar Tage Leid zu verspüren lässt sich im Leben wohl nie vermeiden. Im Gegenteil: Je mehr man sich ins Leben stürzt, umso mehr wird man verletzt. Partnerschaften, Freundschaften, berufliche Herausforderung: Dies sind alles Quellen für starken Leidensdruck, aber eben auch Quellen für Erfüllung und Glück. Problematisch wird es, wenn der Leidensdruck sehr belastend ist und/oder über Wochen und Monate besteht. Wenn Sorgen und Grübeleien den ganzen Alltag bestimmen, ist eine gesunde Psyche in weiter Ferne. Und auch das ist ein wichtiger Indikator: Wie sehr schränkt dich dein Leid in deiner Entfaltung ein? Wie sehr bestimmt es deinen Alltag? Wie sehr leidet deine Lebensqualität? Und: Wie hoffnungsvoll bist du, dass bald alles besser wird?

Zusammengefasst bedeutet das: Ausschlaggebend ist, ob du Leid verspürst. Nicht, ob andere in solchen Situation Leid verspüren oder die Probleme “eigentlich gar nicht so groß” sind, sondern ganz allein dein wahrgenommener Schmerz und dessen Intensität. Außerdem ist die Dauer ein gewisser Indikator: Je länger du schon leidest, umso belastender wird sich das auf deine Psyche auswirken. Ebenso geht es um den konkreten negativen Einfluss auf deine Lebensqualität. Bemerkst du eine Einschränkung deines Alltags? Ziehst du dich zurück? Hast du keine Freude mehr an Dingen, die dir sonst Freude bereiten? Ein weiterer Faktor ist, ob sich dein Leid an bestimmte Ereignisse knüpft oder quasi ein Eigenleben entwickelt hat und du auch leidest, obwohl eben noch alles in Ordnung war.

Der Grund, warum du hier bist: die Selbstreflexion Psyche

Du bist wahrscheinlich auf dieser Seite gelandet, weil du im psychologischen Selbsttest aus Ein guter Plan immer wieder weniger als 30 Punkte hattest. Diesen Wert erreicht man tatsächlich ziemlich schnell, denn wenn man bei den 20 Fragen meist “manchmal” und ein paar mal “öfter” angibt, landet man schon bei knapp 30 Punkten, obwohl dies eigentlich völlig normale Bewertungen eines durchaus glücklichen Lebens sein können. Wir wollten die Schwelle aber bewusst niedrig halten, denn es kann durchaus sein, dass eben doch erheblicher Leidensdruck besteht, wenn man nur manchmal optimistisch ist, nur manchmal soziale Kontakte pflegt und nur manchmal gut schläft. Deswegen ist es auch sinnvoll, dass du immer wieder auf unter 30 Punkte kommst, bevor du dich mit diesem Text beschäftigst.

Dieser Test ist, und das müssen wir ganz klar sagen, keine medizinische Diagnose. Es bedeutete also nicht automatisch, dass du depressiv bist oder eine mentale Erkrankung vorliegt, wenn du auf weniger als 30 Punkte kommst. Ein guter Plan wird zwar mit Psycholog*innen entwickelt und immer wieder von Psychotherapeut*innen empfohlen, aber der Planer ersetzt kein intensives Gespräch mit Expert*innen. Fest steht allein, dass ein gewisser Leidensdruck vorliegen könnte. Und das hast du dir vielleicht auch schon ohne diese Selbstreflexion gedacht.

Was kannst du nun tun?

Ist dein Leidensdruck z.B. durch Schicksalsschläge oder emotionaler Erschöpfung in Job oder Partnerschaft begründbar, weißt du sicher, warum du Leid verspürst. Das ist erst mal gut, denn an konkreten Problemen kann man konkret arbeiten. Man kann sie nicht immer aus der Welt schaffen, aber man kann einen gesunden Umgang damit finden. Durch Akzeptanzübungen, der Etablierung neuer Glaubenssätze, einer Neuorientierung oder teilweise auch durch das Verstreichenlassen von Zeit. Unsere Empfehlung ist in solchen Fällen, dass du dir professionelle Unterstützung suchst. Psychotherapeut*innen können dir Wege aufzeigen, mit deinen Problemen besser umzugehen und deine Psyche nachhaltig zu schützen. Ahnst du aber, dass sich dein Leidensdruck mit der Zeit von allein legen wird, einfach weil sowieso eine neue Lebensphase ansteht, dann ist eine Begleitung dieses Wandels durch Expert*innen zwar wertvoll, aber natürlich auch nicht immer nötig.
Beispiel: Carolin kämpft sich seit vielen Jahren durch einen erbitterten Sorgerechtsstreit. Ihre Wohnsituation ist unklar, der Kinder wegen wird ein gemeinsamer Haushalt aufrechterhalten, der Alltag ist von Feindseligkeiten geprägt. Sie verspürt natürlich einen enormen Leidensdruck, der langsam ernsthaft ihre mentale Gesundheit belastet. Aber in einem Monat fällt das Gerichtsurteil und ihre neue Wohnung kann sie demnächst auch beziehen. Sobald das passiert ist, werden viele Faktoren für Schmerz automatisch verschwinden. Ein langer Urlaub und eine Reduzierung ihrer Arbeitsstunden stehen bevor. Sie ist zuversichtlich, dass es ihr in wenigen Wochen viel besser gehen wird. Da dies nachvollziehbar ist, wäre eine Therapie zwar sicher extrem hilfreich, allein für die Aufarbeitung des erfahrenen Schmerzes, aber es wäre durchaus möglich, dass bald alles von allein in Ordnung kommt. Generell ist sie aber sozial gut eingebunden und hoffnungsvoll, sodass ihr wahrgenommener Leidensdruck mit der Zeit vielleicht verschwinden wird, auch wenn sie weniger als 30 Punkte in mehreren Monatsreflexionen hatte.

Ist dein Leidensdruck nicht an akute Probleme geknüpft, überfordern dich Herausforderungen sehr und steht kein Ereignis an, dass eine radikale, positive Lebensveränderung mit sich bringen wird, ist die Situation ungleich komplexer. Alte Traumata, mangelnde soziale Kontakte, eine langwierige Krankheit ohne Aussicht auf Heilung, aber auch Existenzangst: Das alles sind Beispiele, die enormen Leidensdruck erzeugen können, und zwar, ohne dass die Betroffenen wirklich Macht über die Situation gewinnen können. Klar, hier und da kann man an Verbesserungen arbeiten, aber wenn der Schmerz einfach nicht verschwindet oder dieselben Denk- und Verhaltensweisen immer wieder für Leid sorgen, dann braucht es unbedingt professionelle Hilfe. Es ist nicht leicht, sich um einen Therapieplatz zu bemühen, aber es ist auch nicht unmöglich. Auch wenn du wirklich ein halbes Jahr warten musst, wie es leider immer wieder vorkommt, wirst du in einem halben Jahr dankbar sein, wenn du Hilfe bekommst. Mit etwas Einsatz und ein bisschen Glück kann man sogar in Großstädten manchmal viel schneller einen Platz bekommen, als oft suggeriert wird.
Beispiel: Anne sich das letzte Jahr in ihrem Job völlig verausgabt. Es mangelt ihr an Wertschätzung, sie ist eigentlich konstant gestresst und Besserung ist nicht in Aussicht. Ihre Beziehung ist nicht erfüllend, sie wechselt zwischen Verlustangst und Ablehnung. Alle Probleme scheinen ihr über den Kopf zu wachsen, aber sie weiß, dass sich auch mit Veränderungen eigentlich nichts wirklich ändern wird. Ihre Verhaltensmuster verfolgen sie in jeder Lebensphase, in jedem Job und in jeder Beziehung. Sie fühlt sich erschöpft, einsam und hoffnungslos.
Da sie so viele Baustellen in ihrem Leben hat und wenig Zuversicht auf positiven Wandel verspürt und darüber hinaus keine Kanäle hat, um ihre Frustration aufzulösen, wird es ihr schwerfallen, ohne professionelle Hilfe ihren Leidensdruck zu vermindern. Vielleicht lernt sie mit der Zeit, ihren Schmerz besser zu ertragen, aber echte Heilung sieht anders aus. Eine Therapie wäre unbedingt empfohlen.

Ein unbefriedigendes Fazit

Vielleicht hast du dir klarere Empfehlungen gewünscht, aber mentale Gesundheit ist extrem komplex. Nur weil du in der Selbstreflexion auf unter 30 Punkte gekommen bist, bedeutet das nicht, dass du eine Therapie brauchst. Beobachte die Werte ruhig über mehrere Monate und vertraue auf dein Bauchgefühl: Denkst du, dass sich dein Leben demnächst wieder verbessern wird? Oder machst du dir etwas vor und ahnst eigentlich, dass tieferliegende Probleme der Grund für deinen Schmerz sind? Reicht wirklich ein kleiner Urlaub, damit es dir wieder nachhaltig besser geht oder wird es Zeit, sich langfristig um deine Psyche zu kümmern? Sei da bitte ehrlich mit dir, aber mach dich auch nicht jeden Monat verrückt mit der Zahl aus der Selbstreflexion. Ausschlaggebend ist ganz allein dein wahrgenommener Leidensdruck und deine Einschätzung, wie gut du ihn mit eigenen Mitteln reduzieren kannst. Punktezahlen spielen eine untergeordnete Rolle. Wir wollen mit dem Test nur einen ersten Anhaltspunkt geben, Menschen auf die Möglichkeiten hinzuweisen. Für viele ist es völlig klar, dass sie sich Hilfe suchen, wenn es ihnen schlecht geht, aber es gibt auch sehr viele Menschen, die verständlicherweise eine große Berührungsangst bei der Thematik haben. Dass wir uns als Herausgeber*innen von Terminkalendern herausnehmen, diese Menschen auf mögliche Probleme hinzuweisen, ist vielleicht weit über unseren Kompetenzen und sicher weit mehr als das, was man von einem Terminkalender erwartet. Aber wir haben uns mit unserem Verlag auf die Fahne geschrieben, für Aufklärung in diesem Bereich zu sorgen und gegen das Tabu von mentalen Problemen zu kämpfen. Achtsamkeit ist schön und gut, oft reicht sie aber einfach nicht.

Denkst du ernsthaft über professionelle Hilfe nach, haben wir hier ein paar Tipps zusammengefasst: So startest du eine Therapie.


Abschließend möchten wir den Test hier noch einmal abbilden:

Bewerte folgende Aussagen für den vergangenen Monat von 0 bis 3. Dabei steht 0 für gar nicht oder sehr selten, 1 für manchmal, 2 für öfter und 3 für meistens oder immer.

Ich habe auf meine Bedürfnisse geachtet
Ich hatte genug soziale Kontakte
Ich bin zufrieden mit dem, was ich geschafft habe
Ich war optimistisch
Ich habe Neues ausprobiert
Ich habe so viel unternommen wie sonst auch
Ich konnte immer wieder gut entspannen
Ich habe versucht, das Gute zu sehen
Ich habe wertgeschätzt, was ich habe
Ich war fröhlich und zufrieden
Ich hatte genug Energie für alles, was passiert ist
Ich habe hoffnungsvoll in die Zukunft geschaut
Ich war mutig und hatte keine neuen Ängste
Ich konnte negative Gedanken schnell loslassen
Ich habe gut geschlafen
Ich habe so viele Gespräche wie sonst auch geführt
Ich habe mich geborgen und integriert gefühlt
Ich habe das Leben genossen
Ich fühlte mich von anderen gemocht
Ich konnte mich gut konzentrieren

Hast du immer wieder weniger als 30 Punkte, könnte dies darauf hinweisen, dass du einen großen Leidensdruck verspürst.


Disclaimer: Dieser Text und unser Test ersetzt keine fachliche/medizinische Beratung. Der Test basiert locker auf etablierten psychologischen Tests, wurde aber umformuliert und erweitert, um zugänglicher zu sein. Er hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit und dient allein der Selbstreflexion. Wende dich bei mentalen Problemen immer an deine Hausärztin/ deinen Hausarzt und/oder an psychologisches Fachpersonal.