Ein gutes Ziel: Selbstliebe

Viele meiner Freunde haben derzeit ein Ziel. Das ist schön und bewundernswert. Diese Ziele sind erstaunlich oft von sportlicher Natur.
Aber während vor einigen Jahren Ziele in diese Richtung „10 Kilometer laufen ohne sich übergeben zu müssen“ lauteten, ist heute oft nicht mal mehr der Marathon genug. Triathlon muss es sein, oder noch besser: ein Hindernislauf durch Matsch und Schlamm oder gar ein Iron Man.
Mir ist durchaus bewusst, wie gut es sein kann, die eigene körperliche Grenze zu kennen und zu testen. Ein gesunder Triathlon setzt jedoch eine gute Vorbereitung mit einigen Ausdauereinheiten und Intervalltrainings in der Woche voraus, und das am besten über Monate, wenn nicht sogar Jahre. Dieses Commitment wollen viele Menschen aber nicht leisten. Mit einem Übermaß an Motivation und eisernem Willen peitschen sie sich gnadenlos und untrainiert über die Strecke.

Und als angehender Sanitäter mangelt es mir nicht an Geschichten aus dem Bereitschaftsdienst diverser Marathons und Triathlons. Überambitionierte Hobbysportler*innen kollabieren dort im Minutentakt und müssen von uns wieder aufgepäppelt und im schlimmsten Fall wiederbelebt werden.
Alle diese Menschen an den Sauerstoff-Geräten haben eins gemeinsam: sie wollten sich etwas beweisen. Sie wollten nicht achtsam über Jahre ein gesundes Level an Ausdauer aufbauen, sondern haben sich eines Tages entschieden, dass sie beim nächsten Triathlon antreten und den irgendwie überstehen.
Ich finde, das ist nicht nachhaltig. Denn was kommt danach? Wahrscheinlich wird man sich aufgrund der großen Verausgabung erst mal länger nicht mehr in diese Richtung betätigen. Die Freude an körperlicher Bewegung wurde durch blanken Leistungswillen ersetzt, was schade ist. Jedenfalls kenne ich wenige, die ihr einmal gestecktes Marathon-Ziel dann gerade so erreicht haben und danach langfristig dabei geblieben sind.

Leise Ziele nur für dich

Aber es gibt auch noch andere Ziele. Ziele, für die dir niemand eine Medaille geben wird. Mehr Achtsamkeit in deinem Leben zum Beispiel. Oder: mehr Selbstliebe. Das sind ganz leise Ziele, nur für dich. Aber ich finde, sie sind wertvoller und ihre Ergebnisse langlebiger, als irgendwie 42 Kilometer hinter sich gebracht zu haben.

Diese Ziele wirken recht ungreifbar und diffus. Deswegen wirken klassische Techniken zur Zielerreichung wie To do-Listen vielleicht ungeeignet. Aber ich glaube: Auch Ziele wie mehr Selbstliebe können geplant werden. Ich glaube sogar, mehr Glück und Liebe muss man sich manchmal aktiv erarbeiten. Selbstliebe kommt nicht von alleine. Sie kommt nicht, nur weil du gerade viel Bestätigung von anderen bekommst.
Sie kommt nicht von alleine, wenn du in einem Kloster stundenlang meditierst, und sie kommt erst recht nicht plötzlich auf der Ziellinie eines Triathlons. Das ist alles gut fürs Ego, aber bei deinem Ziel geht es im Idealfall nicht nur um dein Ego.
Selbstliebe ist ein aktiver Prozess und so unromantisch es klingt, mit etwas Aufwand verbunden.

Meilensteine für dein Ziel

Schon in drei Monaten kann man sehr viel für das eigene Seelenheil tun. Anfangs steht erst einmal die Bestandsaufnahme. Wie gut denkst du von dir? In welchem Maße schränkt dich ein Mangel an Selbstliebe ein? Der erste Meilenstein könnte dann sein, den inneren Kritiker in Schach zu halten.
Wie oft kritisierst du dich und dein Handeln im Kopf? Das kannst du ganz einfach per Strichliste machen. Nimm‘ ein paar Tage einen kleinen Zettel mit und mache jedes Mal einen Strich, wenn du dich selbst kritisierst, zurückhältst oder deine Ideen relativierst.
Du wirst erstaunt sein, wie oft du dir innerlich in die Gedanken grätschst. Dem inneren Kritiker den Kampf anzusagen bedeutet aber nicht, alles zu bejubeln, was man so macht. Das Ziel ist es, die reflexartigen, negativen Gedanken bewusst wahrzunehmen und dann bei Bedarf gegenzusteuern.

Ein weiterer Meilenstein kann das Lesen von fünf Büchern zum Thema sein. Es gibt wunderbare Lektüre über Achtsamkeit und Selbstliebe, völlig frei von spirituellem Wischiwaschi, sondern knallharte Erkenntnisse, die dir wahrscheinlich die Socken ausziehen werden.
Ein dritter Meilenstein kann es sein, einen Aufsatz über dich selbst zu schreiben. Alles was dir an dir gefällt, alles was du schon erreichst hast, alles was dich auszeichnet. Es klingt vielleicht seltsam, aber das einmal alles zu artikulieren hat ungemein heilende Wirkung. Durch diese Manifestation machst du dich unabhängiger von Lob und Anerkennung anderer.
Nach einigen Wochen wird diese neue positive Selbsteinschätzung ganz langsam bei dir ankommen. Lerne, mild und nachsichtig mit dir selbst zu sein. Lerne, mit dir selbst zu reden, wie du mit einem guten Freund redest. Dem würdest du auch nicht alle fünf Minuten vorhalten, womit er Schwierigkeiten hat, dass eine Reaktion in einer Stresssituation nicht gerade elegant war, oder dass man in dieser oder jener Situation viel schlagfertiger hätte sein können.

Am Ende dieses Prozesses steht dann eine unglaubliche Freiheit. Denn wenn du niemandem und auch dir selbst nichts beweisen musst, bist du frei. Und wenn das kein schönes Ziel ist, dann weiß ich es auch nicht. Und mit sich selbst zufrieden zu sein läuft sich so ein Marathon wahrscheinlich auch nochmal leichter.

 

 

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Jan Lenarz ist Gründer und Geschäftsführer von Ein guter Plan. Der mehrfache SPIEGEL-Bestsellerautor engagiert sich politisch für mentale Gesundheit und schreibt über Achtsamkeit, Depression und Burnout. Er engagiert sich ehrenamtlich als Rettungssanitäter und Erste-Hilfe-Ausbilder. Bei den Einsätzen im Berliner Stadtgebiet wird seine hart antrainierte Gelassenheit regelmäßig auf die Probe gestellt. Website Instagram

10 comments on »Ein gutes Ziel: Selbstliebe«

  1. Danke für den tollen Beitrag und die guten Tipps!
    Selbstliebe hat für viele gleich einen negativen touch, so in Richtung Einbildung/Arroganz/.. aber das hat nichts miteinander zu tun – sofern in gesundem Maße und dem richtigen Ziel dahinter natürlich!
    Wer sich selbst nicht liebt, braucht das auch nicht von seinem Umfeld erwarten.

  2. Hallo Jan. Danke für den tollen Beitrag. Ich habe einBuch zur Selbstliebe im Visier, das kombiniert mit einem guten Ziel…?!
    Von welchen fünf Büchern ohne Wischiwaschi sprichst schreibst du? Ich wäre dir sehr dankbar über diesen Literaturtip!
    Mit “guten”Grüßen;-)
    Sabrina

    • Jan Lenarz

      Ich hatte keine speziellen im Kopf, aber diese hier sind ein guter Einstieg in die Materie:

      – Das Kind in dir muss Heimat finden / Stefanie Stahl
      – Liebe dich selbst, und es ist egal wen du heiratest / Eva-Maria Zurhorst
      – Der Feind in meinem Kopf / Matthias Hammer
      – Selbstmitgefühl / Kristin Neff

  3. Super, so etwas hab ich gerade gebraucht! Zudem gut geschrieben mit tollem Tips! Danke!!!

  4. Schöner und wahrer Artikel!

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